Zahn und Psyche - Großes Interesse an der gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung im Zahnärztehaus München

13. Februar 2009 - Am Samstag, 07. Februar 2009, fand im Zahnärztehaus München die Fortbildungsveranstaltung „Zahn und Psyche“ statt, die gemeinsam von der Bayerischen Landeszahnärztekammer (BLZK), der Europäischen Akademie für zahnärztliche Fort- und Weiterbildung der BLZK GmbH (eazf) und der PTK Bayern organisiert wurde. Namhafte Experten informierten die rund 160 Teilnehmer in mehreren Fachvorträgen zu verschiedenen Themen rund um den Bereich „Psychosomatik in der Zahnheilkunde“. Eine anschließende Podiumsdiskussion rundete die Veranstaltung, die von Angelika Wagner-Link, Vorstandsmitglied der PTK Bayern moderiert wurde, ab.


Dr. Nikolaus Melcop, Präsident der PTK Bayern sagte in seiner Begrüßung, dass sich aus den vielfältigen Aufgabenstellungen unserer Arbeitsbereiche viele Überschneidungen für Zahnärzte und Psychotherapeuten ergeben. „Ich persönlich glaube, dass wir noch ganz am Anfang einer zukünftig noch intensiveren Zusammenarbeit unserer Professionen sind und dass diese Themenbereiche perspektivisch immer wichtiger werden“, so Melcop. Dr. Christian Öttl, Vorstandsmitglied der BLZK, wies in seiner Begrüßung auf den gesellschaftlichen Wandel hin, nach dem immer mehr Patienten an psychischen Störungen leiden und dann mit ihren Problemen in die Zahnarztpraxis kommen. „Ich wünsche uns allen, dass wir in der heutigen Veranstaltung ein Rüstzeug erwerben, um unseren Patienten einen Mehrwert in der Behandlung geben zu können“, betonte Öttl.
Dr. Christian Öttl, Vanessa Bisping, Prof. Stephan Doering, Micheline Geldsetzer, Angelika Wagner-Link, Dr. Gerhard Kreyer und Dr. Nikolaus Melcop (v. l.) (Foto: Wolfgang M. Weber) Dr. Christian Öttl, Vanessa Bisping, Prof. Stephan Doering, Micheline Geldsetzer, Angelika Wagner-Link, Dr. Gerhard Kreyer und Dr. Nikolaus Melcop (v. l.) (Foto: Wolfgang M. Weber)
Thema des ersten Fachvortrags von Prof. Dr. Stephan Doering, Poliklinik für zahnärztliche Prothetik des Universitätsklinikums Münster, Bereich Psychosomatik in der Zahnheilkunde, war der „chronische Schmerzpatient in der Zahnarztpraxis“. Schwerpunkt seines Vortrags war der richtige Umgang mit Patienten mit somatoformen Schmerzstörungen vor oder nach einer zahnmedizinischen Behandlung. Die Frage, warum nur ein kleiner Teil der Patienten mit chronischen Schmerzen zum Zahnarzt gehe, könne mit dem Einfluss psychosozialer Faktoren bei der Entwicklung chronischer Schmerzen beantwortet werden. Hierzu zählen z. B. eine Beeinträchtigung der Affektwahrnehmung, eine gesteigerte enterozeptive Wahrnehmung, gestörte Eltern-Kind-Beziehungen, psychosoziale Traumatisierungen, Neigung zur Katastrophisierung sowie psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen. Grundsätzlich lassen sich die zu diagnostizierenden Beschwerden einteilen in somatoforme Störungen (F 45 nach ICD 10), anhaltende somatoforme Schmerzstörungen (F 45.40) sowie chronische Schmerzstörungen mit somatischen und psychischen Faktoren (F 45.41). Am Ende seines Vortrags stellte Prof. Doering einen Leitfaden zur Behandlung von betroffenen Patienten vor. Danach sollte die erweiterte Anamnese idealerweise nicht im Zahnarztstuhl, sondern in entspannter Atmosphäre im aufrechten Sitzen stattfinden. Essenziell sei der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung. Hinweise auf das Vorliegen einer psychischen Erkrankung wie z. B. Depressionen, könnten mit zwei Fragen abgeklärt werden: „Haben Sie sich in den letzten Wochen niedergeschlagen gefühlt? Haben Sie Lebensfreude?“ Nach einer gründlichen organischen Anschlussdiagnostik mehrerer medizinischer Fachdisziplinen, müsse dem Patienten die Diagnose eröffnet werden. Wichtig sei hierbei, ein psychophysiologisches Erklärungsmodell zu liefern, eine organische Behandlung strikt auszuschließen und eine psychotherapeutische Behandlung zu empfehlen. Eine zahnmedizinische Behandlung sollte dabei niemals ohne eindeutige Indikation durchgeführt werden. Größere zahnmedizinische Behandlungen sollten erst nach der psychotherapeutischen Behandlung in Angriff genommen werden.
An der Fortbildungsveranstaltung nahmen rund 160 Personen teil (Foto: Wolfgang M. Weber) An der Fortbildungsveranstaltung nahmen rund 160 Personen teil (Foto: Wolfgang M. Weber)
Dipl.-Psych. Vanessa Bisping, tätig im gleichen Institut wie Prof. Doering, referierte zum Thema „Zahnbehandlungsangst und Spritzenphobie: Entstehung, Diagnostik und Therapie“. 70 % der Befragten gaben, so erläuterte die Referentin, nach einer Studie an, mit Angst zum Zahnarzt zu gehen, etwa 11 % hätten eine starke Angst und vermieden Zahnarztbesuche und 3 bis 5 % litten an einer Spritzen- bzw. Dentalphobie. Auf der kognitiven Ebene äußerten sich die Angststörungen der Phobiker z. B. in Aussagen oder Gedanken wie „Es wird schrecklich weh tun“, „Ich werde in Ohnmacht fallen“, „Ich bin hilflos ausgeliefert“, „Der Zahnarzt wird mich beschimpfen oder angreifen“. Angststörungen könnten am besten mit strukturierten Interviews oder Selbstbeurteilungsverfahren diagnostiziert werden. Die Angst entwickle sich häufig bereits in der Kindheit und sei oft Folge unangenehmer und belastender Erlebnisse während zahnärztlicher, kieferorthopädischer oder anderer medizinischer Behandlungen. Aber auch Ängste der Eltern, weitere psychische Erkrankungen oder traumatische Erfahrungen könnten sie auslösen oder verstärken. Die Folgen für die Betroffenen seien mangelnde Mundhygiene, Schmerzen, Zahn- und Zahnfleischerkrankungen bis hin zum sozialen Rückzug, Arbeitsausfälle und Verlust des Arbeitsplatzes. Für mehr als 80 % der Zahnärzte stelle diese Patientengruppe die höchste Stressbelastung dar. Ist eine Psychotherapie notwendig, so hätten sich z. B. Psychoedukation, Entspannungsverfahren, konfrontative Methoden, Hypnose oder „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“ (EMDR) bewährt. Darüber hinaus helfen eine Reihe von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Methoden wie Verhaltensanalyse, Erstellen einer Angsthierarchie oder die schrittweise Konfrontation in sensu und in vivo bei gleichzeitiger Entspannung. Das Skript zum Vortrag von Vanessa Bisping finden Sie hier.

Dipl.-Psych. Micheline Geldsetzer, Verhaltens- und Hypnosetherapeutin und Delegierte der PTK Bayern, stellte in ihrem Fachvortrag die Möglichkeiten der Hypnose in der Patientenbehandlung bei Angstabbau, Betäubungsmittelunverträglichkeit, Bruxismus und Schmerzabbau vor. Ziele der Schmerzbehandlung mit Hypnose seien ein besserer Umgang mit Schmerz, geringere oder keine Schmerzwahrnehmung, weniger Angst sowie eine Reduktion oder gar Verzicht auf ein Anästhetikum. Trance sei der Zustand, der erreicht werden soll, die Hypnose sei die Methode dazu. In der Trance fokussiere der Patient seine Aufmerksamkeit zunächst auf ein Objekt (z. B. Pendel). Das Gehirn schalte auf Entspannungsreaktion um, die Aufmerksamkeit sei nach innen gerichtet, Puls und Atmung werden langsamer, der Blutdruck sinke, es werden keine Stresshormone mehr ausgeschüttet. Der Körper „antworte“ unwillkürlich auf vom Therapeuten suggerierte Vorstellungsbilder. Eine wesentliche Technik der Schmerzkontrolle sei hierbei die sog. „Handschuh-Analgesie“. Hierbei stelle sich der Patient unter Hypnose seine Hand im Schnee vor und führe seine „kalte“ Hand zum Gesicht. In diesem Bereich werde er nun keinen Schmerz empfinden.

Prim. DDr. Gerhard Kreyer, u. a. Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Psychologie und Psychosomatik in der Zahnmedizin und Vorstand der Zahnstation des größten psychiatrischen Krankenhauses Österreichs, dem Otto-Wagner Spital in Wien, befasste sich in seinem Vortrag mit der Psychosomatik in der Zahnmedizin. Patienten, die ihre Behandlungsstrategie oder Termine nicht einhalten, um das Honorar streiten oder vor Gericht gehen, stünden an erster Stelle bei einer Studie, welche PatientInnen Zahnärzte als schwierig erleben. Eine aktuelle Problematik aus jüngster Zeit stelle darüber hinaus die „psychogene Amalgamintoleranz“ dar. „Betroffene Patienten geben nahezu alle Beschwerden in der Humanpathologie an und führen das auf Amalgam zurück“, berichtete Dr. Kreyer. Es ließen sich aber keinerlei Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Zahl der Amalgamfüllungen mit dem Beschwerdebild nachweisen. Persönlichkeiten mit sehr hoher Angstbereitschaft sowie weibliche Patienten jenseits der Lebensmitte korrelierten nach Studien häufig mit Amalgamintoleranz. In den allermeisten Fällen handele es sich um somatoforme Störungen im Sinne des ICD 10. Ausgehend von der Psychosomatik des Bezahnten, des Unbezahnten und des Zahnverlustes sei es bei allen Symptombildern, funktionellen Störungen oder Somatisierungen wichtig, grundsätzlich immer beide Behandlungsstrategien, also Zahnmedizin und Psychotherapie, anzuwenden, betonte Dr. Kreyer. „Die Kunst liegt darin, herauszufinden, wo der Kern der Störung liegt.“

„Der 13. Patient – professioneller Umgang mit Kränkungen“ war der Titel des Vortrags von Dr. Wolfgang Schmidbauer, Psychoanalytiker, Autor zahlreicher Bücher und Delegierter der PTK Bayern. Ausgehend von der psychoanalytischen Erklärung der Entwicklung der Kränkungsfähigkeit, deren Wurzeln in der Kindheit liegen, ging Dr. Schmidbauer zunächst auf die narzisstische Kränkung des Zahnarztes durch „schwierige Patienten“ ein und gab dann wertvolle Tipps im Umgang mit diesen, insbesondere narzisstisch gekränkten Patienten. Ein großer Fehler sei es z. B., schwierige Patienten abzuwerten mit der Aussage „Mit anderen Patienten habe ich diese Probleme nicht“. Wichtig sei, immer eine Verhandlungssituation zu erreichen, in der sich der Patient verstanden fühle und sich grundsätzlich bei Beschwerden sofort entschuldigen. Dem Patienten zu vermitteln, dass er mit seiner Aussage oder seinem Verhalten falsch liege, kränke ihn nur weiter, so Dr. Schmidbauer. „Benutzen Sie einen Ängste hemmenden Umgangsstil und bestätigen Sie den Patienten, wo Sie nur können. Und behandeln Sie Ihre Patienten mit genügendem Abstand und professioneller Vorsicht.“
Angelika Wagner-Link (Mitte) moderierte die gesamte Fortbildungsveranstaltung und auch die Podiumsdiskussion (Foto: Wolfgang M. Weber) Angelika Wagner-Link (Mitte) moderierte die gesamte Fortbildungsveranstaltung und auch die Podiumsdiskussion (Foto: Wolfgang M. Weber)
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde als Resümee der Fortbildungsveranstaltung vor allem die Mitberücksichtigung psychischer Aspekte in der Zahnbehandlung schwieriger Patienten und daraus resultierend die Verstärkung und Verbesserung in der Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten und Psychotherapeuten hervorgehoben. Eine Strategie wäre – wie am Beispiel Österreichs – ein „Netzwerk Psychosomatik“ zu etablieren, in dem verschiedene medizinische Fachdisziplinen und Fachgesellschaften interdisziplinär zusammenarbeiten. Auf bayerischer Ebene könnte die Zusammenarbeit zwischen der BLZK und der PTK Bayern sowie zwischen zahnärztlichen und psychotherapeutischen Fachverbänden intensiviert werden, aber auch einzelne Zahnärzte sollten verstärkt Kooperationen mit Psychotherapeuten suchen und umgekehrt. Ein zusätzlicher Weg, so der Vorschlag einer Teilnehmerin, sei auch die Nutzung von Balint-Gruppen für Zahnärzte. Auch in der universitären Ausbildung sollte der Aspekt Zahn und Psyche einen höheren Stellenwert bekommen. In den USA spielt beispielsweise die psychologische Ausbildung für Zahnärzte eine große Rolle. Insgesamt wurde eine weitere Kooperation von Zahnärzten und Psychotherapeuten sehr begrüßt, dies sei ein zukunfts- und wegweisender Ansatz.
PTK Bayern
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