Psychotherapeutenkammer Bayern

15. Suchtforum in Bayern: Schmerz(medizin) trifft Sucht(medizin) - Schmerzmittel zwischen Fluch und Segen?! Kooperationspartner des Suchtforums fordern individuelle Therapieangebote unter Einbeziehung von Schmerzmitteln, der Medizin und Psychotherapie

Pressemitteilung
06. April 2016 - Schmerzmittel bergen zwar immer ein gewisses Suchtpotenzial in sich, eine Sucht entwickelt sich jedoch zusätzlich aus dem Zusammenspiel von Merkmalen der Person und der Umwelt. Nur wenige der rund 200.000 heroinabhängigen Personen in Deutschland haben ihre Sucht mit Schmerzmitteln begonnen, sondern mit Tabak und Alkohol. Die Ersatztherapie mit opiathaltigen Schmerzmitteln (Opioiden) führt bei einem Teil der Heroinabhängigen zum Erfolg. Andererseits stellen Opioide ein erhebliches Risiko dar, an einer Sucht zu erkranken, wenn die Medikation nicht laufend kontrolliert und überprüft wird. Kann das Suchtpotenzial dieser Substanzen nicht zutreffend abgeschätzt werden, ist eine Verunsicherung in der Verordnung von Schmerzmitteln, vor allem von Opioiden, die Folge. „Diese Problemlage erfordert daher eine bessere Zusammenarbeit zwischen der Sucht- und Schmerzmedizin und den damit involvierten Berufsgruppen wie den Apothekern, die präventiv, und den Psychotherapeuten, die therapeutisch Hilfe bieten können“, so die gemeinsame Erklärung der Vertreter der Bayerischen Akademie für Suchtfragen in Forschung und Praxis (BAS e.V.) und der drei Heilberufekammern.

Melanie Huml, Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege: 'Ich freue mich, dass das wichtige Thema Schmerz und Sucht im Suchtforum beleuchtet wird. Eine wirksame Therapie im Grenzbereich der Schmerz- und Suchtmedizin erfordert ein auf den Patienten abgestimmtes Vorgehen. Wichtig ist auch der Austausch zwischen den behandelnden Ärzten. Einfache Lösungen 'von der Stange' gibt es hier nicht – es gilt stets abzuwägen zwischen der Notwendigkeit einer wirksamen Schmerztherapie und dem möglichen Suchtpotenzial. Aktuell dreht sich die öffentliche Debatte insbesondere um den Zugang zu Cannabis als Arzneimitteln. Schon jetzt können Ärzte schwerkranken Patienten cannabishaltige Arzneimittel verschreiben. Verschreibungspflichtige, medizinisch notwendige Arzneimittel werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Das derzeitige Vorhaben der Bundesregierung, betroffenen Patientinnen und Patienten den Zugang zu weiteren Arzneimitteln auf Cannabisbasis auf Betäubungsmittelrezept zu erleichtern, begrüße ich. Wichtig ist dabei, dass wir die Sicherheit und Kontrolle im Betäubungsmittelverkehr auch weiterhin gewährleisten können. Die missbräuchliche Verwendung von cannabishaltigen Arzneimitteln muss weiterhin ausgeschlossen werden, weil Cannabis auch eine gefährliche Droge ist.'

Vor dem Hintergrund der 1,9 Millionen Medikamentenabhängigen in Deutschland sei es bemerkenswert, so Prof. Dr. Dr. Dr. Felix Tretter, 2. Vorsitzender der Bayerischen Akademie für Suchtfragen in Forschung und Praxis (BAS e.V.), dass in der Medizin immer häufiger chronische Schmerzen diagnostiziert würden und die Verordnung von Schmerzmitteln entsprechend steige. Wenngleich über viele Jahre eine allzu zurückhaltende Verordnung von Opioiden erfolgt sei, zeige sich heute, auf die letzten zehn Jahre zurückblickend, für Deutschland eine Verdopplung der Tagesdosen. Problematisch sei, dass entgegen den Empfehlungen der WHO, Opioide nur bei Tumorschmerzen anzuwenden, offensichtlich immer häufiger Opioide auch bei Nicht-Tumor-Schmerzen verordnet werden. In Deutschland müsse daher der Grenzbereich zwischen der Sucht- und Schmerzmedizin viel differenzierter bearbeitet werden.

Ulrich Koczian, Vizepräsident der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK), stellt die Vermeidung des Schmerzmittelfehlgebrauchs und die Verhinderung der damit verbundenen Folgeschäden als einen elementaren Bestandteil der pharmazeutischen Arbeit heraus. „Medikamente – auch die, die man ohne Rezept bekommt – sind keine Bonbons, auch wenn sie in der Werbung oft als harmlose und schnelle Problemlöser angepriesen werden“, betont Koczian. Deshalb sollten sich Patienten in der Apotheke sowohl zu rezeptfreien als auch zu rezeptpflichtigen Schmerzmitteln beraten lassen, vor allem bei Pflastern, die Opioide enthalten. Hier gelte es insbesondere, den Patienten die Angst vor einer Abhängigkeit zu nehmen. Koczian begrüßt die Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit zu einem „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“. Aus Sicht der Bayerischen Landesapothekerkammer sei es wichtig, dass Patienten Cannabis in kontrollierter pharmazeutischer Qualität in der Apotheke bekommen könnten, wenn diese es aus medizinischen Gründen bräuchten, so Koczian. Den unkontrollierten Gebrauch von Cannabis lehnten die Apotheker strikt ab.

Schmerzmittel können Fluch und Segen zugleich sein. Sie lindern Schmerzen, haben aber auch ein gewisses Suchtpotenzial. „In den Medien wird oft berichtet, dass in Deutschland zu viele Opiate verordnet und dadurch unnötig Abhängigkeiten geschaffen werden. Da bin ich ganz anderer Ansicht: In Deutschland werden nicht zu viele Opiate verordnet, in Deutschland werden Opiate teilweise den falschen Patienten verordnet“, erklärt Dr. Heidemarie Lux, Vizepräsidentin der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) und Suchtbeauftragte des Vorstandes. Gerade bei Schmerzmitteln sei es sehr wichtig, dass die Ärztin oder der Arzt die Medikation laufend überprüfe und kontrolliere, ob eventuell eine niedrigere Medikamentendosis bei Schmerzmitteln ausreichen würde. „Wichtig ist auch, dass Opiate wieder angemessen und ärztlich überwacht ausgeschlichen werden. Bei einer engmaschigen Betreuung und Überwachung der Schmerzpatienten lässt sich die Medikamentendosis häufig ohne Beeinträchtigungen reduzieren“, erläuterte Lux. Auf der anderen Seite erhielten gerade Tumorpatienten oft sogar zu wenig Schmerzmittel. Deshalb sollten Ärzte bei Schmerzpatienten sehr genau hinschauen, was im Einzelfall indiziert sei und die Indikation auch regelmäßig überprüfen.

Für Priv.-Doz. Dr. Heiner Vogel, Vorstandsmitglied der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PTK Bayern), stellt die mögliche Indikation für die Gabe von Opioiden aufgrund von Schmerzen bei gleichzeitiger Substanzabhängigkeit eine interdisziplinäre Herausforderung dar. Eine enge interdisziplinäre Abstimmung bezüglich schmerz- und suchttherapeutischer Behandlungselemente sei wesentlich. „Der Einsatz von psychosozialen und psychotherapeutischen Interventionen einerseits und medizinisch-somatischen Interventionen andererseits ist unerlässlich, um die komplexe, durch bio-psychosoziale Wechselwirkung geprägte Symptomatik erfolgreich behandeln zu können“, fordert Vogel. „Es ist für Schmerzpatienten unverzichtbar, mit ihnen ein bio-psychosoziales Störungsverständnis zu erarbeiten und auf dieser Grundlage gemeinsam realistische Therapieziele und einen sachgerechten Therapieplan zu entwickeln, die die verschiedenen Behandlungsbausteine sinnvoll integrieren.“

Gemeinsam mit der BAS veranstalten die BLÄK, BLAK und die PTK Bayern am 6. April 2016 im Zentrum für Pharmaforschung Großhadern, München, das 15. Suchtforum mit dem Titel „Schmerz(medizin) trifft Sucht(medizin) – Schmerzmittel zwischen Fluch und Segen?!“. Rund 400 Ärzte, Apotheker, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Mitarbeiter von Suchthilfeeinrichtungen, Suchtberatungsstellen und Schmerzambulanzen sowie weitere mit dem Thema Schmerz und Abhängigkeitserkrankungen befasste Berufsgruppen nehmen daran teil.

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