Psychotherapeutenkammer Bayern

Neue Bedarfsplanung: in weiten Teilen Bayerns „abbaubare Überversorgung“ statt dringend benötigter Psychotherapieplätze / zusätzliche Kapazitäten in ländlichen Bereichen

21. Dezember 2012 - Am 20.12.2012 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Neufassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie beschlossen. Nach Vorgabe des Gesetzgebers hätte insbesondere die psychotherapeutische Versorgung nach „sachgerechten Kriterien“ berechnet werden sollen, womit die dringend notwendige Verbesserung möglich gewesen wäre. Durch die neue Richtlinie werden jedoch weite Teile Bayerns als vermeintlich  „überversorgt“ eingeordnet. Dort sind damit im Prinzip Sitze von Psychotherapeut/innen abbaubar, insbesondere im städtischen Bereich. In gewissen ländlichen Bereichen werden zusätzliche Sitze möglich sein. „Zusätzliche Kapazitäten für den besonders unterversorgten ländlichen Bereich sind zu begrüßen. Die Ausweisung von ‘Überversorgung‘ in den anderen Gebieten ist jedoch keinesfalls dem realen ungedeckten Behandlungsbedarf der Patientinnen und Patienten angemessen, auch nicht in städtischen Bereichen. Insgesamt bleibt nach diesem Beschluss weiterhin erheblicher Handlungsbedarf“, kommentiert Kammerpräsident Dr. Nikolaus Melcop.

Die Psychotherapie gehört nach dieser Systematik zur Ebene der allgemeinen fachärztlichen Versorgung. Die Zuordnung und Größe der Planungsbezirke entspricht in etwa den bereits jetzt gültigen Vorgaben. In den Kernstädten werden zur Berechnung der Versorgung mehr Einwohner auf eine/n Psychotherapeut/in kommen als bisher, was zu einem Anstieg der rechnerischen Überversorgung führt, ohne dass ein/e Psychotherapeut/in neu zugelassen wird und das trotz derzeitiger durchschnittlicher Wartezeit von 23,4 Wochen bis zum Beginn einer Psychotherapie. In ländlichen Kreisen werden künftig deutlich weniger Einwohner auf eine/n Psychotherapeut/in kommen, was zwar die Fehlberechnung von 1999 leicht korrigiert, aber noch lange nicht zu einer adäquaten Versorgung führt.
 
Die für Psychotherapeut/innen wichtigsten Punkte haben wir auf einen Blick zusammengefasst:
In ländlichen Regionen wird die Versorgungsdichte angehoben – trotzdem nur ein Rechentrick
In den neuen Versorgungstypen 4 (mitversorgte Region) und 5 (eigenversorgte Region) hat der G-BA die Allgemeinen Verhältniszahlen verändert. Dadurch entstehen in diesen beiden Regionstypen bundesweit rund 1400 zusätzliche Niederlassungsmöglichkeiten für Psychotherapeut/innen. Allerdings hat der G-BA als Rechnungsgrundlage die am 31.8.1999 zugelassenen rund 13.800 Psychotherapeut/innen genommen und nicht die aktuelle Zahl von ca. 21.600. Für die Versorgung notwendig wäre gewesen, die zusätzlichen Niederlassungen im Sinne eines wirklichen Plus den 21.606 Praxissitzen, die derzeit die Versorgung sicherstellen, hinzuzuaddieren. Derzeit gibt es noch keine offizielle Mitteilung, in welchen Gebieten in Bayern tatsächlich zusätzliche Sitze entstehen werden.
 
Die Verhältniszahlen für Psychotherapeut/innen sind nicht anhand sachgerechter Kriterien festgelegt
Bei der Berechnung der Verhältniszahlen ist als Berechnungsgrundlage erneut das Aufsatzjahr 1999 herangezogen worden. Für die Verhältniszahlberechnung der Arztgruppe Psychotherapeut/innen werden nach der neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie die „spätestens am 31. August 1999 durch die Zulassungsausschüsse rechtswirksam zugelassenen Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erfasst“ (§ 7 Absatz 2 der Anlage 5 der Richtlinie). Der G-BA rechnet also mit veralteten Zahlen, als in ganz Deutschland nur rund 13.800 Psychotherapeut/innen niedergelassen waren. Darüber hinaus hat der G-BA die Zahl der Einwohner, Ärzte und Psychotherapeut/innen auf Basis der Verteilung der Einwohner zum Stichtag 31.12.2012 sowie der Ärzt/innen und Psychotherapeut/innen zum Stichtag 30.6.2012 ermittelt (§ 9 der Anlage 5 der Richtlinie). Die Übernahme alter, für eine bedarfsgerechte Versorgung ungeeigneter Verhältniszahlen bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Verteilung der Psychotherapeuten zu einem aktuellen Stichtag, erfüllt nicht die gesetzliche Vorgabe einer Anpassung anhand sachgerechter Kriterien.
 
Für die Arztgruppe der Psychotherapeut/innen wird ein Demografiefaktor eingeführt
Anders als bei der Mehrzahl somatischer Erkrankungen ändert sich bei psychischen Erkrankungen der Behandlungsbedarf, der eine Anpassung der Verhältniszahlen erfordert, nicht. Psychische Erkrankungen treten im Alter etwa gleich häufig auf wie im jüngeren Erwachsenenalter. Die Anwendung des Demografiefaktors auf die Arztgruppe „Psychotherapeuten“ ist daher nicht nachvollziehbar. Aufgrund seiner Konstruktion wird der Demografiefaktor bei Psychotherapeut/innen überall dort, wo der Anteil über 65-Jähriger höher ist als im Bundesdurchschnitt im Jahr 2010 zu einer Verschlechterung der Allgemeinen Verhältniszahl führen. Dies werden im Schwerpunkt ländliche Regionen sein.
 
Ab 2013 könnten Praxissitze wegfallen
Mit der neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie sind in Deutschland ca. 6200 Praxissitze im Prinzip vom Abbau bedroht, in Bayern etwa 1000. Der G-BA spricht hierbei von „abbaubarer Überversorgung“, die vor allem Kernstädte und städtische Regionen treffen würde. Darüber haben die Zulassungsausschüsse zu entscheiden. Im Falle eines vom Zulassungsausschuss zu beschließenden Einzugs eines Praxissitzes, wenn ein/e zugelassene/r Psychotherapeut/in ihre/seine Praxis übergibt, hat die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) die/den Praxisabgeber/in zu entschädigen.
 
Mindestens 20% der zugelassenen Psychotherapeut/innen werden Kinder und Jugendliche behandeln
Zu begrüßen ist, dass die Regelung, nach der mindestens 20% der zugelassenen Psychotherapeut/innen ausschließlich Kinder und Jugendliche behandeln sollen, in die Bedarfsplanungsrichtlinie aufgenommen wird. Durch den drohenden Abbau der Praxissitze ist jedoch auch hier mittelfristig eine Verschlechterung der Versorgung zu befürchten.
 
Regeln für Anstellungen und Jobsharing werden flexibler
Psychologische Psychotherapeut/innen dürfen künftig Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/innen anstellen und umgekehrt.
Das Bundesgesundheitsministerium hat von der Möglichkeit, die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie des G-BA zu beanstanden, nicht Gebrauch gemacht. Ein möglicher Abbau von Praxissitzen könnte ab dem 1.1.2013 erfolgen. Alle anderen Regelungen treten nach dem 30.6.2013 in Kraft. Während dieser Übergangsfrist gilt die „alte“ Bedarfsplanung weiter. Die Empfehlungen des G-BA müssen auf Landesebene umgesetzt werden.
 
Über die Auswirkungen der Reform der neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie auf die bayerischen Planungsbereiche und neue Niederlassungsmöglichkeiten informieren wir umgehend, wenn die dafür notwendigen Informationen vorliegen.
 
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