Psychotherapeutenkammer Bayern

Bericht zum 9. Bayerischen Landespsychotherapeutentag: Bindung und Beziehung


Meldung vom 23.03.2022


Am 19. März fand der 9. Bayerische Landespsychotherapeutentag zum Thema Bindung und Beziehung statt. Mindestens 440 Teilnehmer*innen schalteten sich virtuell zu der Veranstaltung zu und nutzten in der Pause und nach der Veranstaltung die Gelegenheit zur virtuellen Vernetzung.


Vizepräsident Peter Lehndorfer eröffnete den 9. Bayerischen Landespsychotherapeutentag (LPT), der ursprünglich bereits für 2021 geplant war. Aufgrund der Pandemie wurde die Veranstaltung verschoben, in der Hoffnung, sie in 2022 in Präsenz durchführen zu können - leider vergebens. Der LPT fand deshalb im Online-Format statt. Peter Lehndorfer stellte in der Begrüßung heraus, dass das Thema „Bindung und Beziehung“ dabei in Zeiten von Krisen wie der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg von aktueller und besonderer Bedeutung sei.

Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek wandte sich in seinem Videogrußwort an alle Psychotherapeut*innen mit einem Dank für ihre Leistung, gerade in Pandemiezeiten. Beziehungen über Distanz zu führen sei seit Corona eine Herausforderung für alle geworden. Er stellte einen Bezug her zum gerade erschienenen ersten bayerischen Psychiatriebericht, der ein Handlungsleitfaden für die psychische Gesundheit in der Zukunft sein kann. Holetschek erklärte, dass er die psychische Gesundheit der Bevölkerung weit oben auf seiner politischen Agenda sieht.

rechts im Bild: Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek dankte allen Psychotherapeut*innen für ihren Einsatz in der Gesundheitsversorgung.

Kammerpräsident Dr. Nikolaus Melcop gab einen Überblick über die wichtigsten Themen des Vorstands während seiner Amtsperiode 2017 -2022. Neben den aktuell brisanten Herausforderungen in der Bewältigung der Corona-Pandemie und der Unterstützung von Kriegsgeflüchteten ging Nikolaus Melcop u.a. auf die vielen fordernden Facetten der Digitalisierung, die Umsetzung der Reform der Aus- und Weiterbildung, die Reformen der ambulanten Psychotherapie und die hohe Nachfrage nach Psychotherapie im stationären und ambulanten Bereich ein. Er berichtete über die Mitwirkung und regionale Vernetzung von Psychotherapeut*innen im Rahmen der GesundheitsregionenPlus, das bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz und den Einsatz von Psychotherapeut*innen und der Kammer im Klima- und Umweltschutz. Weiterhin gab er einen Überblick über die verschiedenen Themenbereiche, die in den unterschiedlichen Ausschüssen und Kommissionen der Kammer bearbeitet wurden. Der Vorstand wird am 31. März 2022 in der konstituierenden Delegiertenversammlung neu gewählt.

Kammerpräsident Dr. Nikolaus Melcop (linkes Bild) gab einen Bericht über die Tätigkeiten des Vorstands der auslaufenden Amtsperiode. Vizepräsident Dr. Bruno Waldvogel und Vorstandsmitglied Birgit Gorgas (rechtes Bild) moderierten den 9. Bayerischen Landespsychotherapeutentag.
Kammerpräsident Dr. Nikolaus Melcop (linkes Bild) gab einen Bericht über die Tätigkeiten des Vorstands der auslaufenden Amtsperiode. Vizepräsident Dr. Bruno Waldvogel und Vorstandsmitglied Birgit Gorgas (rechtes Bild) moderierten den 9. Bayerischen Landespsychotherapeutentag.


Anschließend eröffnete Frau Prof. Dr. Anna Buchheim das Fachprogramm mit einem Einführungsvortrag zum Thema „Bindung: Was wir heute aus der Bindungsforschung und der Psychotherapieforschung wissen“. Sie erläuterte das Konzept der unsicheren Bindung, das einen relevanten Erklärungsfaktor in den Ätiologiemodellen psychischer Erkrankungen darstellt. Sie informierte über das transgenerationale Modell von Bindung und ging dabei darauf ein, dass Bindungssicherheit als Schutzfaktor und unverarbeitete Traumata als Risikofaktor wirken können. Außerdem referierte sie aktuelle Befunde aus der Psychotherapieforschung zur Modifizierbarkeit dysfunktionaler Bindungsmuster in Psychotherapien.

rechts im Bild: Prof. Dr. Anna Buchheim gab einen Überblick über den aktuellen Stand der Bindungsforschung.


Dr. Kirsten von Sydow ging in ihrem Vortrag über „Bindung, Berührung und Sexualität“ auf die Bedeutung von Körperkontakt und Lust in intimen Beziehungen ein. Sie erläuterte, wie im weiteren Verlauf der Beziehung Bindung, Berührung und Sexualität in ein Spannungsverhältnis treten können und welche paartherapeutischen Ansätze die Problematik nachlassender sexueller Lust in Paar-Beziehungen thematisieren.

rechts im Bild: Dr. Kirsten Von Sydow sprach über „Bindung, Berührung und Sexualität“.


Prof. Dr. Bernhard Strauß gab einen Überblick über „Transdiagnostische und verfahrensübergreifende Modelle der therapeutischen Beziehung“. Insbesondere wenn es um die Diskussion der Effektivität unterschiedlicher Psychotherapiemethoden geht, verweisen psychotherapeutisch Tätige gerne darauf, dass das Wesentliche „die Beziehung“ sei. Tatsächlich ist selbst das Konzept der therapeutischen Arbeitsbeziehung mehrdimensional und dazu gibt es zahlreiche andere Beziehungskonstrukte, die in der Psychotherapieforschung mittlerweile gut untersucht sind. Die American Psychological Association leistet sich seit langem eine Task Force, die „Psychotherapeutic Relationships that work“ untersucht. Der Vortrag von Prof. Dr. Strauß fasste die darauf bezogene Evidenz zusammen, zeigte auf, welche Beziehungsaspekte sich als wirksam erwiesen haben, und wie diese mit Merkmalen der Patient*innen und der Therapeut*innen interagieren. Schließlich wurde diskutiert, inwieweit „die therapeutische Beziehung“ eine verfahrens- und störungsübergreifende sein und was dies für die Kompetenzentwicklung von Psychotherapeut*innen bedeuten kann.

rechts im Bild: Prof. Dr. Bernhard Strauß gab einen Überblick über „Transdiagnostische und verfahrensübergreifende Modelle der therapeutischen Beziehung“.

In ihrem Vortrag „Bindungs- und Beziehungsgestaltung bei psychisch erkrankten und hochbelasteten Eltern“ ging Dipl.-Psych. Jessika Kuehn-Velten der Frage nach: Was heißt das für die Kinder? In der Bindungsentwicklung geht es um eine gute Balance von Sicherheit und Weltentdecken – und um Eltern, die hierfür gute Modelle und Leitfiguren sind, wenn sie selbst über gute Bindungsrepräsentanzen und Feinfühligkeit verfügen. Bei psychisch erkrankten und hochbelasteten Menschen – und dann auch Eltern - finden sich häufig emotionale Mangelerfahrungen und traumatische Erlebnisse in der Kindheit. Ihr emotionales Grundmuster ist oft angespannt, ängstlich-depressiv oder reizbar. Sie fühlen selbst wenig eigene Sicherheit, stehen selbst nicht vertrauensvoll-neugierig der Welt gegenüber. Säuglinge und Kleinkinder werden nicht gut wahrgenommen und häufig unter- oder überstimuliert. Die Benennung der Gefühle der betroffenen Kinder fällt den psychisch belasteten Eltern schwer. Auch wenn die Kinder älter werden, bleibt die Verunsicherung. Die Kinder erleben ihre Eltern in einem unberechenbaren, von ihnen unbeeinflussbaren Wechsel von liebevoll-fürsorglichen, ängstlichen, ängstigenden oder emotional unzugänglichen Verhaltensweisen. Dadurch gelingt es ihnen nicht, ein kohärentes Bild von sich selbst und der sozialen Umwelt zu entwickeln. Jessika Kuehn-Velten erläuterte, dass gesunde Beziehungen in und außerhalb der Familie für die Kinder wichtig sind – und dass eine offene Kommunikation über die Erkrankung die Kinder die Zusammenhänge verstehen und einordnen lässt und Hilfen ermöglicht.

rechts im Bild: Dipl.-Psych. Jessika Kuehn-Velten referierte zum Thema „Bindungs- und Beziehungsgestaltung bei psychisch erkrankten und hochbelasteten Eltern: Was heißt das für die Kinder?“.


Prof. Dr. Katja Bertsch gab einen kurzen Überblick über den Stand der Forschung zu der ihr gestellten Frage: „Was erklärt Oxytocin?

Oxytocin ist ein natürliches Hormon im Körper, über das in den Medien zuletzt gerne als Kuschel- oder Liebeshormon berichtet wurde. Prof. Dr. Bertsch stellte dar, dass das Hormon Einfluss auf Bindung und Beziehungsgestaltung hat, aber in seiner Wirkung kontextabhängig ist.

rechts im Bild: Prof. Dr. Katja Bertsch erklärte Oxytocin.


Prof. Dr. Karl Heinz Brisch referierte zu der ihm vorgelegten Frage „Was hat die Pandemie mit unseren Bindungen und Beziehungen gemacht?“ Er erläuterte, dass Menschen in Krisensituationen normalerweise (Gruppen-) Bindungen aufsuchen. Aufgrund der Corona-Pandemie war dies nicht bzw. nur sehr eingeschränkt möglich, denn es gab einen „Hausarrest für alle“. Es entstanden körperliche, psychische, soziale und ökonomische Belastungen, häufig Kollisionen zwischen Beruf und Familie im Home-Office und Home-Schooling. Verschiedene Querschnitt-Studien in unterschiedlichen sozialen Settings kamen zu dem Ergebnis, dass die Corona-Pandemie sowohl „Risk and Resilience“ mit sich bringt: Auf der einen Seite sind große (negative) Stressfaktoren vorhanden, auf der anderen Seite konnten engere Beziehungen verzeichnet werden, ebenso wie die Entwicklung von Adaptionsstrategien zu dieser neuen Situation. Effekte der Corona-Pandemie sind nun mit Langzeitstudien weiter zu beobachten.

 
rechts im Bild: Prof. Dr. Karl Heinz Brisch gab Antworten auf die Frage, was die Pandemie mit unseren Bindungen und Beziehungen gemacht hat.

Unter dem letzten Programm-Punkt „Verabschiedung“ wurde Vizepräsident Peter Lehndorfer nach über 20-jähriger Tätigkeit für die PTK Bayern öffentlich aus dem Vorstand der PTK Bayern verabschiedet. Er hat die Kammer entscheidend mit aufgebaut und mit seinem Engagement stark geprägt. Nach einer Würdigung durch Bruno Waldvogel und Nikolaus Melcop trat als Überraschungs-Solist sein langjähriger Kollege und Freund Albrecht Stadler auf und sang ihm zu Ehren „Forever Young“ von Bob Dylan und – passend zum Tätigkeitsbereich von Peter Lehndorfer – ein Kinderlied. Sichtlich bewegt sprach Peter Lehndorfer noch einige Worte zu seinem Abschied aus dem Vorstand und dankte dabei allen Kolleg*innen für die gemeinsame Zeit und das Vertrauen, das ihm geschenkt wurde.

Musikalische Einlage zur Verabschiedung von Vizepräsidenten Peter Lehndorfer in den Ruhestand (links) durch Kollegen Albrecht Stadler (rechts).


Die Teilnehmer*innen nutzten die angebotenen Möglichkeiten, trotz der örtlichen Distanz in Diskussion und virtueller Vernetzung miteinander zu treten und so das Thema „Bindung und Beziehung“ auch im digitalen Raum umzusetzen.

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