Psychotherapeutenkammer Bayern

Europäischer Gerichtshof stärkt Arbeitsplatzrechte chronisch kranker Menschen – psychische Erkrankungen von langer Dauer sind einbezogen

24. Juli 2013 - Bereits im April 2013 fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg ein Urteil, welches das Recht chronisch kranker Menschen am Arbeitsplatz auf besondere Unterstützung stärken wird. Den Richtern zufolge gelten anhaltende Krankheiten, die eine Person über längere Zeit an der vollen Teilnahme am Berufsleben hindern, als Behinderung (AZ: C-335/11 und C-337/11). Behinderte Menschen wiederum genießen laut der EU-Richtlinie über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG) einen speziellen Schutz gegen Diskriminierung. Chronisch psychisch kranke Arbeitnehmer/innen haben damit die gleichen Rechte wie körperlich behinderte.

Die EU-Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf aus dem Jahr 2000 schafft einen allgemeinen Rahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung u. a. wegen einer Behinderung. Da der Begriff der Behinderung in dieser Richtlinie jedoch nicht definiert ist, hat ihn der EuGH in einem weiteren Urteil im Jahr 2006 (AZ: C-13/05) bestimmt. Für den Bereich des Arbeitsrechts hat der EuGH hier den Begriff der Behinderung so umschrieben, dass er '... eine Einschränkung von langer Dauer erfasst, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet.' Im Urteil vom April 2013 hat der EuGH nun klargestellt, dass eine heilbare oder unheilbare Krankheit, die eine physische, geistige oder psychische Einschränkung mit sich bringt, einer Behinderung gleichgestellt werden könnte.

Hintergrund der EuGH-Entscheidung waren zwei Schadenersatzklagen, die eine Gewerkschaft für zwei gekündigte Arbeitnehmerinnen vor einem dänischen Gericht erhoben hatte. Beide waren nicht mehr in der Lage, eine Vollzeitbeschäftigung auszuüben. Nach einer Regelung im dänischen Arbeitsrecht kann einer/einem Arbeitnehmer/in/en mit einer verkürzten Kündigungsfrist von einem Monat gekündigt werden, wenn er innerhalb der letzten zwölf Monate krankheitsbedingt 120 Tage mit Entgeltfortzahlung abwesend war. Der EuGH hat darauf hingewiesen, dass die EU-Richtlinie über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf den Arbeitgeber verpflichtet, geeignete und angemessene Vorkehrungen zu ergreifen, insbesondere um Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs und den beruflichen Aufstieg zu ermöglichen. Nach Ansicht des EuGH ist eine Arbeitszeitverkürzung als eine geeignete Vorkehrung anzusehen. Die dänische Regelung, nach der ein Arbeitgeber – ohne geeignete Vorkehrungen getroffen zu haben – einen Arbeitsvertrag mit einer verkürzten Kündigungsfrist beenden kann, wenn die/der behinderte Arbeitnehmer/in innerhalb der letzten zwölf Monate 120 Tage krankgeschrieben war, steht nach Auffassung des EuGH der EU-Richtlinie über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf entgegen. Gleichwohl sei es Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die Verkürzung der Arbeitszeit als Vorkehrung im vorliegenden Fall eine unverhältnismäßige Belastung der beiden dänischen Arbeitgeber darstelle.
 
Entscheidend ist, dass der Begriff „Behinderung“ eine Beeinträchtigung der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit umfasst. Es spielt dabei keine Rolle, ob die Teilhabe am Berufsleben vollständig gehindert oder nur teilweise eingeschränkt ist. Chronische Krankheiten sind im Hinblick auf den Schutz des Arbeitsplatzes wie Behinderungen einzustufen. Entsprechend kann eine krankheitsbedingte Kündigung nur ausgesprochen werden, wenn keine andere Lösung durch eine Veränderung des Arbeitsplatzverhältnisses möglich ist.
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