Prof. Dr. med. Gerd Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der LMU München, bedauerte in seinem Fachvortrag „Schutzfaktoren und Risiken für psychisch gesundes Aufwachsen“, dass immer noch zu viele psychisch kranke Kinder und Jugendliche die Versorgungsangebote nicht annehmen. Die, die behandlungsbedürftig psychisch erkrankt seien, würden teilweise nicht erreicht, betonte er. Wichtig sei es, durch den Ausgleich von und dem Schutz vor Risiken ein Gleichgewicht zwischen den Risiken und den Ressourcen herzustellen. Darüber hinaus erläuterte der Referent die Studie „Primärprävention von Depression bei Kindern und Jugendlichen mit einem an Depression erkrankten Elternteil“ (PRODO) der LMU München. Im Rahmen der PRODO-Studie werde aktuell ein familienbasiertes Präventionsprogramm zur Reduktion des Erkrankungsrisikos für eine depressive Störung und zur Verbesserung von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen evaluiert.
Prof. Dr. med. Franz Freisleder, Ärztlicher Direktor des kbo-Heckscher Klinikums, ging in seinem Fachvortrag der Frage nach, welche Herausforderungen es in der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung in Bayern gibt. Diese sei in den letzten 20 Jahren konsequent ausgebaut worden. Heute seien 1066 voll-und teilstationäre Plätze in Bayern vorhanden. Des Weiteren seien in den letzten 20 Jahren neue störungsspezifische Therapieformen etabliert worden. Die Nachfrage nach psychiatrischer Abklärung habe deutlich zugenommen.
Aus der Perspektive der Jugendhilfe informierte Isabella Gold, Leiterin des Referats „Jugendpolitik – Jugendhilfe“ im Bayerischen Sozialministerium, über die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Insbesondere stellte sie dabei das bayerische Konzept der Koordinierenden Kinderschutzstellen (KoKi) heraus, das 2009 flächendeckend in Bayern eingeführt wurde. 2012 wurde das KoKi-Konzept durch das Bundeskinderschutzgesetz zum bundesweiten Standard. Im „KoKi-Netzwerk frühe Kindheit“ bieten u. a. Akteure der Jugendhilfe, Schulen, die Polizei, Beratungsstellen und Jugendämter den Eltern ein umfassendes Unterstützungs- und Hilfeangebot. Die Kinder- und Jugendhilfe bietet Perspektiven und Unterstützungsmöglichkeiten und insbesondere Potenziale in der Prävention. Das seien wichtige Beiträge zur Verringerung von Risiken und zur Erhöhung der Schutzfaktoren. Wörtlich sagte Isabella Gold: „Es ist nichts Schändliches, professionelle Hilfe bei psychischen Erkrankungen in Anspruch zu nehmen.“
Kammervizepräsident Peter Lehndorfer gab in seinem Fachvortrag einen Überblick über den Anteil psychisch belasteter und kranker Kinder, Jugendlicher und ihrer Familien, ging auf das Berufsbild und das Tätigkeitsspektrum der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ein, informierte über den aktuellen Stand der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Bayern und skizzierte, inwieweit es in der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen noch Entwicklungspotenziale gibt. Dabei präsentierte er u. a. Teilergebnisse einer im Juli 2016 erscheinenden Studie der Bundespsychotherapeutenkammer, die anhand von Sozialdaten von Krankenkassen die ambulante psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen untersuchte.
Hinsichtlich der Versorgung kritisierte Lehndorfer insbesondere die hohen Wartezeiten auf einen ambulanten Therapieplatz. „Wir brauchen eine Neuberechnung der Verhältniszahlen oder eine Morbiditätsorientierung in der Bedarfsplanung“, betonte er. Wichtig seien auch mehr regionale Steuerungsmöglichkeiten und die Nutzung regionaler Spielräume, beispielsweise im Landesausschuss bzw. in den Zulassungsausschüssen. Er monierte auch die weitgehende 'Nicht-Berücksichtigung' der Psychotherapeut/innen beim bundesweiten Präventionsgesetz. Am Ende seines Vortrags richtete Lehndorfer einen Appell an die Bundespolitik, mit Unterstützung der Landespolitik noch in dieser Legislaturperiode die Novellierung des Psychotherapeutengesetzes umzusetzen, um die psychotherapeutische Versorgung der Kinder und Jugendlichen in Bayern und bundesweit weiter verbessern und für die Zukunft sichern zu können. Den Fachvortrag von Peter Lehndorfer finden Sie in der unteren Liste zum Herunterladen.