Psychotherapeutenkammer Bayern

„Kinder psychisch kranker Eltern – Hilfen gemeinsam gestalten“: 120 Kammermitglieder informierten sich in Fachvorträgen und Workshops

10. Mai 2011 - Sehr gefragt war die Veranstaltung „Kinder psychisch kranker Eltern – Hilfen gemeinsam gestalten“ am 7.5.2011 in München. Rund 120 Personen nahmen an der von der PTK Bayern gemeinsam mit der Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung Bayern e.V. (LAG) organisierten Fachtagung teil. Bis zu 60 Prozent der Kinder psychisch kranker Eltern entwickeln selbst psychische oder psychosomatische Störungen. Mit Hilfe von Fachvorträgen und vertiefenden Workshops gelang es, sowohl die betroffenen Kinder und deren Bedürfnisse als auch die Bedürfnisse ihrer Eltern in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus wurden Kooperationsmodelle zwischen dem Gesundheitswesen, Beratungsstellen in der Jugendhilfe und weiteren Einrichtungen vorgestellt. Die Teilnehmer erhielten eine Fülle von Impulsen für Beratung, Psychotherapie und Unterstützung der Kinder in verschiedenen Settings und Einrichtungen.

Kammerpräsident Dr. Nikolaus Melcop erläuterte in seinen einführenden Worten in Bezug auf das Thema der Veranstaltung die fachlichen und theoretischen Überschneidungsbereiche der Arbeitsfelder Erziehungsberatung und Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen. Vor diesem Hintergrund betonte er die Chancen, die eine angemessene und frühzeitige Unterstützung sowohl für die betroffenen Kinder und auch ihre Eltern beinhalten könne – sowohl in Bezug auf die Entwicklung der Kinder, ihre Kompetenzen und die Minderung des Risikos einer eigenen psychischen Störung als auch in Bezug auf die psychisch erkrankten Eltern und ihr Bestreben, „gute Eltern“ zu sein.

Kammerpräsident Dr. Nikolaus Melcop. (Foto: Johannes Schuster)

Engagement für Kinder psychisch kranker Eltern (v. l.): Andreas Schrappe, Artur Geis, Kammerpräsident Dr. Nikolaus Melcop, Prof. Dr. Albert Lenz, Dr. Bernhard Kühnl, stellv. Vorsitzender der LAG Bayern, Vizepräsident Peter Lehndorfer und Dr. Hermann Scheuerer-Englisch, Vorsitzender der LAG Bayern. (Foto: Johannes Schuster)

Dr. Hermann Scheuerer-Englisch, Vorsitzender der LAG, beklagte in seiner Eröffnung, dass im Gegensatz zu körperlichen Krankheiten psychische Erkrankungen nach wie vor einem gesellschaftlichen Tabu unterlägen und eher zu Rückzug und Isolation führten. Wörtlich sagte er: „Kinder psychisch belasteter Eltern sind zunächst selbst nicht ’krank’, haben aber aufgrund der familiären Umstände ein deutlich erhöhtes Entwicklungs- und Teilhaberisiko: Sie haben oft wenig Möglichkeiten ihre Gefühle und Ängste auszudrücken, es fehlen ihnen Erklärungen, was mit den Eltern los ist, sie brauchen Schutz, klare Informationen und ein Sicherheitsnetz für familiäre Krisen. Es geht letztlich entscheidend darum, Ihnen zu helfen, Belastungen zu bewältigen, und ihnen Unterstützung bei ihren vielfältigen Entwicklungsaufgaben zu geben.“ Die 126 bayerischen Erziehungsberatungsstellen seien als niedrigschwelliger Beratungsdienst der Jugendhilfe oft erste Anlaufstellen auch für Kinder und Familien mit einem psychisch kranken Elternteil.

Dr. Hermann Scheuerer-Englisch, Vorsitzender der LAG Bayern. (Foto: Johannes Schuster)

Prof. Dr. Albert Lenz, Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, Institut für Gesundheitsforschung und Soziale Psychiatrie (igsp), referierte in seinem Fachvortrag zum Thema „Kinder psychisch kranker Eltern – Risiken, Resilienzen und Interventionen.“ Prof. Lenz ist ehemaliger Leiter einer Beratungsstelle und hat nach seiner Berufung zum Professor eine wichtige Evaluationsuntersuchung zur Erziehungsberatung durchgeführt und sich seit vielen Jahren auch mit dem Thema Kinder psychisch kranker Eltern beschäftigt. Ausgehend von den Ergebnissen der qualitativen Belastungs- und Bewältigungsforschung sowie den Befunden der Risiko- und Resilienzforschung erläuterte er die Methoden zur Aktivierung und Stärkung der personalen, familiären und sozialen Ressourcen. Darüber hinaus entwarf er einen Handlungsrahmen, der es ermöglichen soll, die Interventionen und personalen, familiären und sozialen Unterstützungsmaßnahmen in ein Gesamtkonzept der Angehörigenarbeit in der Psychiatrie einzubetten.

Zwischen Jugendhilfe und Psychiatrie: Strategien zum erfolgreichen Aufbau von Hilfen“ war der Titel des Fachvortrags von Andreas Schrappe, Leiter des Evangelischen Beratungszentrums Würzburg, der sich gleichzeitig bei der Bundesarbeitsgemeinschaft „Kinder psychisch kranker Eltern“ engagiert. Ausgehend vom 10. Kinder- und Jugendbericht (1998), nach dem Kinder bei der Auseinandersetzung mit abhängigen oder psychisch kranken Erwachsenen von der Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen jahrelang wenig berücksichtigt worden seien, stellte Schrappe zwei Thesen auf: Je nach Familiensituation, Belastungsgrad und Kindesalter seien verschiedene ambulante und stationäre Hilfen vorzuhalten. Es brauche keine neuen Spezialeinrichtungen, sondern eine bessere Vernetzung der vorhandenen Kompetenzen und Einrichtungen, neue Kooperationen und kreative Angebote. Wie das in der Praxis umgesetzt werden kann, zeigte der Referent am Beispiel des Würzburger Präventions- und Qualifizierungsprojektes „Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern“. Neben Rat und Unterstützung der betroffenen Eltern und Kinder sei es auch ein wesentliches Hauptziel dieses Projektes, die Fremdheit zwischen den Versorgungsbereichen Jugendhilfe und Psychiatrie zu überwinden und im Rahmen einer besseren Vernetzung und Kooperation sich verstärkt in erster Linie daran zu orientieren, was die Familien bräuchten.

In mehreren Workshops, die am Nachmittag zweimal angeboten wurden, konnten die Teilnehmer die Themen vertiefen. Die vielen Fragen der Teilnehmer wurden von den Experten detailliert beantwortet.

Die Teilnehmer/innen im Hörsaal des Physiologischen Institutes der LMU München. (Foto: Johannes Schuster)

Die Fachvorträge und Workshops der Referent/inn/en, die Sie in der unteren Downloadliste finden, im Überblick:

Vortrag „Kinder psychisch kranker Eltern – Risiken, Resilienzen und Interventionen“ (Prof. Dr. Albert Lenz, Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Paderborn, Institut für Gesundheitsforschung und Soziale Psychiatrie)

Vortrag und Workshop 2 „Zwischen Jugendhilfe und Psychiatrie: Strategien zum erfolgreichen Aufbau von Hilfen“ (Andreas Schrappe, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Leiter Evangelisches Beratungszentrum Würzburg)

Workshop 1 „Psychoedukation – altersgerechte Krankheitsinformation für Kinder“ (Prof. Dr. Albert Lenz, Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Paderborn, Institut für Gesundheitsforschung und Soziale Psychiatrie)

Workshop 3 „Ich bin wichtig – Ein Gruppenangebot für Kinder psychisch kranker Eltern an der Erziehungsberatungsstelle in Günzburg“ (Artur Geis, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Leiter Psychologische Beratungsstelle Günzburg)

Abstract zum Workshop 4 „Haltgebende Netze knüpfen – Arbeitskreis Ki.ps.E, Beispiel gelebter Kooperation zur Unterstützung der betroffenen Familien in München“ (Maria Sperr, Fachkrankenschwester für Psychiatrie, Atriumhaus, Psychiatrisches Krisen- und Behandlungszentrum, München; Susanne Schreiner, Diplom-Sozialpädagogin, Landeshauptstadt München, Referat für Gesundheit und Umwelt; Gabriele Weingart-Körner, Diplom-Sozialpädagogin, Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle, München; Hanna Sigel, Diplom-Psychologin, Sozialpsychiatrischer Dienst München-Schwabing)

Workshop 5 „Vorstellung des Patenschaftsprojekts für Kinder psychisch kranker Eltern des Sozialdienstes katholischer Frauen e.V.“ (Birgit Sonnenberg, Patenschaftsprojekt für Kinder psychisch kranker Eltern, Sozialdienst katholischer Frauen e.V. München; Verena Walz, Pädagogin)

PTK Bayern

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