Psychotherapeutenkammer Bayern

„Migration und Psychotherapie”: Besonderheiten der psychotherapeutischen Versorgung und Behandlung

13. Juli 2011 - Am 1. Juli 2011 fand in München die Fortbildungsveranstaltung „Migration und Psychotherapie“ statt, an der rund 80 Psychotherapeut/inn/en teilnahmen. Die Veranstaltung wurde von der PTK Bayern gemeinsam mit dem Referat für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München und der Gesellschaft für türkischsprachige Psychotherapie und psychosoziale Beratung (GTP e. V./aktpt) organisiert. In den Fachvorträgen und Workshops erhielten die Teilnehmer/innen einen Einblick in verschiedene Aspekte der Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund und wurden dazu ermutigt, trotz der Sprachprobleme und des meist wenig bekannten kulturellen Hintergrunds der Patient/inn/en verstärkt psychotherapeutische Behandlungen anzubieten.

In seiner Eröffnung betonte Vizepräsident Peter Lehndorfer, dass Menschen mit Migrationshintergrund in ihrem Leben um etwa 20 Prozent häufiger an einer psychischen Störung, insbesondere an Depressionen und somatoformen Störungen im Vergleich zu Einheimischen erkrankten. Demgegenüber würden psychotherapeutische Versorgungsleistungen seltener von Menschen mit Migrationshintergrund in Anspruch genommen. Es bestehe vor allem Anpassungsbedarf hinsichtlich der Gestaltung der Informationen zum Gesundheitssystem, über Behandlungsmöglichkeiten, der interkulturellen Kompetenz von Gesundheitsberufen und Behörden, der Verfügbarkeit muttersprachlicher Psychotherapie im ambulanten und stationären Sektor und bezüglich spezifischer Behandlungsangebote. Neben muttersprachlichen Behandlungsmöglichkeiten bzw. dem Einsatz von Dolmetschern sei es gleichwohl nötig, dass sich auch deutsche bzw. deutschsprechende Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten an der psychotherapeutischen Behandlung von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern beteiligen. Hierzu seien eine kultursensitive Haltung und viel Neugier auf Fremdes und Unbekanntes nötig. Diese Tagung solle hierzu ermutigen.

Setzen sich für eine bessere psychotherapeutische Versorgung von Migranten ein (v. l.): Vizepräsident Peter Lehndorfer, Dr. Dipl.-Psych. Birsen Nesrin Cangöz, Psychologische Psychotherapeutin, Dr. Dipl.-Psych. Lidwina Genovich-Unterberger, Psychologische Psychotherapeutin, Verhaltenstherapeutin, Supervisorin sowie Vorstandsmitglied der Gesellschaft für türkischsprachige Psychotherapie und psychosoziale Beratung (GTP e.V./aktpt), Dr. Dipl.-Psych. Ilhami Atabay, Psychologischer Psychotherapeut, Verhaltenstherapeut und Supervisor, Dipl.-Psych. Barbara Abdallah-Steinkopff, Vizepräsident Dr. Bruno Waldvogel, Dr. med. Hediaty Utari-Witt und Shqipe Krasniqi M. A., Pädagogin, in Ausbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Elterntrainerin bei Refugio.

Nach den Grußworten von Gerhard S. Hafenbrädl, Ständiger Vertreter des Referenten für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München, informierte Dr. med. Hediaty Utari-Witt, Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin sowie Psychoanalytikerin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die Teilnehmer über „innere Prozesse in der Migration im Zusammenspiel mit der neuen Außenwelt“. Die Referentin ging in ihrem Vortrag dabei aus psychoanalytischer Sicht auf zwei Hauptkonflikte im Migrationsprozess ein: Den Ambivalenzkonflikt und den Trennungs- und Individuationskonflikt. Weiter ging sie der Frage nach, was im Inneren eines Menschen geschieht, der sein Heimatland verlässt oder verlassen muss und versuchen muss, in der neuen Umwelt zurechtzukommen. Am schwierigsten in der Behandlung von Migrant/inn/en erscheint Dr. Utari-Witt, so ihr Resümee, die Aufdeckung und Interpretation der kulturellen Rationalisierungen intrapsychischer Konflikte und die Übertragungsreaktion. Den kompletten Vortrag von Dr. Utari-Witt finden Sie in der unteren Downloadliste.

Barbara Abdallah-Steinkopff, Psychologische Psychotherapeutin und Leitende Psychologin bei Refugio München, ging in ihrem Vortrag auf die Zusammenarbeit mit Dolmetschern in Beratung und Therapie ein. Vor dem Gespräch sei es wichtig, dass die/der Therapeut/in den Dolmetscher über das informiere, was im Gespräch erreicht werden sollte. Umgekehrt soll sich die/der Therapeut/in vom Dolmetscher über kulturelle Aspekte, die für den Inhalt des Gesprächs wichtig sein könnten, informieren lassen. Nach dem Gespräch sei es wichtig, dass Therapeut und Dolmetscher ihre Eindrücke über den Patienten beschreiben und evtl. Hypothesen formulieren. Lob und kritische Rückmeldung auf beiden Seiten seien notwendig für eine Sicherung der Effektivität der Therapie und eine Stabilisierung der Dyade Dolmetscher-Therapeut. Wesentlich für die/den Therapeut/in/en seien kurze, prägnante Sätze, das Vermeiden von Nebensätzen und abstrakter Substantive sowie typisch deutscher Redewendungen. Der Dolmetscher sollte möglichst wortwörtlich übersetzen und den Redefluss auf beiden Seiten regulieren. Der komplette Vortrag von Barbara Abdallah-Steinkopff ist in der unteren Liste zum Downloaden vorbereitet.

Die Thematik wurde in fünf parallelen Workshops vertieft. Hier ging es um den „Umgang mit dem Fremden in mir und in der Psychotherapie – Kulturalisierung versus Personalisierung“, „Erziehung, Ehe und Familie – junge Migrantinnen türkischer Herkunft zwischen Anpassung und Fremdheit“, „Kultursensible Suchttherapie – praktische Arbeit mit alkoholabhängigen Patienten aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien“, „Elterntraining für Migranten und Flüchtlinge“ sowie „Körperorientierte Psychotherapie bei türkischen Migranten“.

Im Rahmen des abschließenden Rahmenprogramms wurde ein Ausschnitt des Films des österreichischen Filmemachers Walter Wippersberg „Das Fest des Huhnes“ gezeigt, ein fiktionaler Dokumentarfilm und eine Persiflage.

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