Psychotherapeutenkammer Bayern

Ergebnisse der Mitglieder-Umfrage zur psychotherapeutischen Versorgung von Kinder und Jugendlichen in Bayern und zur Tätigkeitsstruktur von PP/KJP

18. Februar 2008 - Die Umfrage vom Herbst 2006 sollte der Kammer nähere Informationen über die Tätigkeitsstrukturen der Mitglieder und ihre Versorgungsangebote liefern, mit besonderem Schwerpunkt im Bereich Kinder-/Jugendlichenpsychotherapie. Zu diesem Zweck wurde eine repräsentative Stichprobe der Kammermitglieder (geschichtet nach Altersgruppe, Geschlecht, Status der Tätigkeit, Region der Tätigkeit und Art der Approbation) zu Merkmalen der Ausbildung, Arbeitstätigkeit sowie der Therapieangebote für Kinder und Jugendliche mittels eines speziell entwickelten Assessments befragt. (Zur Ausgangsstichprobe: Von den ca. 4.800 Kammermitgliedern sind knapp 700 KJP und knapp 200 Doppelapprobierte[DA])

Es wurden 1.600 Fragebögen verschickt, 586 Bögen wurden ausgefüllt zurückgeschickt, der Rücklauf lag damit bei 36%. Ein Vergleich mit den Schichtungsvariablen ergab, dass die Stichprobe repräsentativ ist für die bayerischen Kammermitglieder bezüglich Geschlechtsverteilung, Alter, Status der Berufstätigkeit (angestellt vs. freiberuflich vs. beides) und Region der Tätigkeit (ländlich vs. städtisch).

Der Anteil männlicher Psychotherapeuten liegt bei den PP bei rund 33%, bei den KJP bei 26% (ohne DA). Das Durchschnittsalter liegt bei knapp 50 Jahren. Verfahrensgrundlage der Approbation ist bei den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten am häufigsten die analytische Psychotherapie (45%, ohne DA), bei den Psychologischen Psychotherapeuten die Verhaltenstherapie (50%). 10-15% aller Psychotherapeuten haben eine tätigkeitsbezogene Approbation (§ 12.4 PsychThG). Allerdings haben die weitaus Meisten mindestens ein psychotherapeutisches Verfahren erlernt, lediglich 2% geben an, keine psychotherapeutische Aus- bzw. Weiterbildung absolviert zu haben.
In Oberbayern, insbesondere in den Großstädten, arbeiten 57% der bayerischen KJP, rund 43% der bayerischen PP (ohne DA). 63% der befragten PP (KJP: 70%) sind (ausschließlich) in eigener Praxis tätig. 37% (KJP: 30%, ohne DA) sind angestellt tätig. Davon sind knapp 1/4, also 7% der Gesamtzahl (bei KJP 9%, ohne DA) neben der Anstellung noch selbstständig in der Versorgung tätig. Die angestellten KJP (ohne DA) arbeiten am häufigsten in Beratungsstellen (58%, darunter zumeist in Erziehungsberatungsstellen), teilstationären bzw. stationäre Jugendhilfeeinrichtungen (10%) oder sozialpädiatrische Einrichtungen (10%). Angestellte PP sind am häufigsten in Kliniken (33%, v.a. Psychiatrie sowie Psychosomatik-, Sucht- und allg. Rehabilitation), Beratungsstellen (20,3%) sowie stationäre und teilstationäre Jugendhilfeeinrichtungen beschäftigt.

Angestellte arbeiten durchschnittlich rund 32 h/Woche (entspricht einem Stellenanteil von 80%), Niedergelassene im Mittel 38 h/Woche. Lediglich 3% arbeiten bis zu 13 Stunden pro Woche in der Praxis, knapp ein Drittel der Niedergelassenen arbeitet deutlich mehr als eine Vollzeittätigkeit (43-65 Stunden pro Woche: 31,5%).
Angestellte wenden rund 2/3 ihrer Arbeitszeit für Psychotherapie auf, 1/3 für Verwaltungstätigkeit. Bei Freiberuflern werden rund 75% der Arbeitszeit für Psychotherapie aufgewendet, 25% für Verwaltungstätigkeit. Übrigens arbeiten fast alle Psychoanalytiker (über 92%) niedergelassen in eigener Praxis, dagegen nur 67% der Tiefenpsychologen und Verhaltenstherapeuten (plus 11% niedergelassen plus angestellt). Von den Psychotherapeuten mit tätigkeitsbezogener Approbation arbeiten dagegen 63% als Angestellte (11% ang. + niedergel.).

Die Untersuchung belegt die psychotherapeutische Unterversorgung im Kinder- und Jugendlichenbereich für Bayern. Während die Befragten insgesamt eine allgemeine Unterversorgung und generell zu wenig Behandler beklagen, deuten die Einschätzungen vor allem auch auf Schnittstellenprobleme beim Übergang von der stationären zur ambulanten Behandlung hin (40% finden dies „sehr schwierig“, weitere 32% „schwierig“ auf einer 5-stufigen Skala von „überhaupt nicht schwierig“ bis „sehr schwierig“).

Nach einer Hochrechnung der Fallzahlen und dem Abgleich mit epidemiologischen Daten können etwa 54,5% der Kinder und Jugendlichen mit einer psychischen Störung psychotherapeutisch versorgt werden. Diese Schätzung ist eher als optimistisch zu interpretieren, da auch Doppelzählungen stationär – ambulant in Kauf genommen werden. Zudem liegt diesen Zahlen die Annahme zugrunde, dass nur etwa jeder 5. auch tatsächlich eine Behandlung aufsucht bzw. ein Behandlungsangebot erhält (Inanspruchnahmerate von 15-20%, Petermann, 2005). Bezogen auf die tatsächliche Prävalenzrate, also die Anzahl aller, die behandlungsbedürftig wären, werden durchschnittlich nur ca. 11% der Kinder und Jugendlichen mit einer psychischen Störung behandelt.

Diese Zahlen erscheinen bei Abgleich mit anderen Studien zur Versorgungslage hinreichend plausibel. In der Bella-Studie (Ravens-Sieberer et al., 2007) wird ein Versorgungsgrad von 48,5% aus Elternbefragungen geschätzt, eine Studie in Baden-Württemberg (Nübling et al., 2006) errechnet einen Versorgungsgrad bis zu 35% basierend auf den Behandlungsplätzen im System. Bei den zitierten Untersuchungen wurden auch Behandlungen bei Ärzten und Anderen einbezogen, während sich die vorliegende Studie nur auf PP/KJP bezieht. Die vorliegende Erhebung kann insofern zwar einerseits zu einer Überschätzung der psychotherapeutischen Versorgungsmängel beitragen, sie kann andererseits aber auch für sich in Anspruch nehmen, dass psychotherapeutische Angebote in ihrer ganzen Breite, also nicht nur im SGB V-Bereich, d.h. im Gesundheitswesen, erfasst wurden, sondern auch im weiteren Sozialwesen, insbesondere in der Jugendhilfe (SGB VIII).
Insgesamt werden 71% der Kinder- und Jugendlichen-PT-Fälle werden mit den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet, 14% mit privaten Krankenkassen und Beihilfestellen, 7% über Kostenerstattung und 6% mit Selbstzahlern.

Die Wartezeit für Kinder und Jugendliche auf einen freien ambulanten Therapieplatz liegt im bayernweiten Durchschnitt bei 14,4 Wochen (sd=15,6) bei niedergelassenen Behandlern und 10,4 Wochen (sd=12,5) in Institutionen. Niedergelassene verhaltenstherapeutisch tätige Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erhalten besonders große Nachfrage, vermutlich dadurch bedingt, dass es deutlich weniger gibt als psychodynamisch orientierte KollegInnen.

Es fällt auf, dass im Kinder- und Jugendlichenbereich angestellt tätige Psychotherapeuten (unabhängig von der Art der Tätigkeit) einen leicht geringeren Tätigkeitsumfang angeben als der Durchschnitt aller Therapeuten (im KJP-Bereich angestellte arbeiten durchschnittlich 28 h/Woche, während der Tätigkeitsumfang über alle Psychotherapeuten bei 32 h/Woche liegt).

Die Studie ergibt weitere Belege auf die schlechtere Versorgung in ländlichen Regionen: mehr Kostenerstattung, mehr Selbstzahler sowie längere Wartelisten und mehr Anfragen nach Therapieplätzen belegen dies. Allerdings findet sich kein konsistentes Muster, nachdem beispielsweise die Situation in Oberpfalz besonders dramatisch oder die Situation in Oberbayern besonders gut wäre.

Die Schwerpunkte der psychotherapeutischen Tätigkeit mit Kindern und Jugendlichen unterscheiden sich zwischen angestellter und selbstständiger Tätigkeit: Bei einem angestellten Psychotherapeuten, der mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, kommen auf jede Sitzung mit einem Kind oder einem Jugendlichen ungefähr ½ Sitzung mit einer Bezugsperson, ½ Sitzung Diagnostik sowie ¼ Sitzung Gruppenbehandlung. Bei einem niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten dagegen kommt auf jede 5. Sitzung mit Kindern und Jugendlichen eine Sitzung mit Bezugspersonen, Gruppentherapien spielen kaum eine Rolle. Ein freiberuflich tätiger Psychologischer Psychotherapeut mit Abrechnungsgenehmigung für Kinder und Jugendliche (rund 13% der PP in der Untersuchung) verwendet ca. ¼ seiner Arbeitszeit für Kinder und Jugendliche. Ist er doppelapprobiert, macht dieser Anteil immerhin 50% aus. Rund 70% der doppelapprobierten niedergelassen tätigen Psychotherapeuten in der Untersuchung behandeln Kinder und Jugendliche.
Gruppenpsychotherapie wird bayernweit eher von angestellten Psychotherapeuten durchgeführt, unter den niedergelassenen nimmt es einen sehr geringen Zeitanteil ein. Die Kammer wird die Ergebnisse der Studie, die hier nur skizziert werden können, in die politischen Diskussionen einbringen, um auf eine Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen hinzuwirken.
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