Psychotherapeutenkammer Bayern

PTK Bayern lehnt Forderung des GKV-Spitzenverbandes nach Aufkauf und Stilllegung tausender Praxen entschieden ab

11. Juli 2011 - Im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes hat das Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmen Prognos AG letzte Woche ein Gutachten zum Abbau der regionalen Ungleichverteilung in der vertragsärztlichen Versorgung veröffentlicht. Um dieses Ziel zu erreichen, fordern die Prognos-Wissenschaftler, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) die als überzählig erscheinenden Sitze aufkaufen, wenn die Psychotherapeut/inn/en und Ärzt/innen/e in Ruhestand gehen. Das insgesamte Investitionsvolumen der KVen läge bundesweit bei rund 1,5 Milliarden Euro. Auf die nächsten fünf Jahre verteilt, entspräche das einem Anteil von unter einem Prozent des jährlichen Honorarvolumens. „Wir sind fassungslos, was die Kassen hier fordern“, kritisiert Kammerpräsident Dr. Nikolaus Melcop. „Dem Gutachten zufolge sollten rund 3.500 psychotherapeutische Praxen in Deutschland geschlossen werden, um die vermeintliche Überversorgung in bestimmten Regionen abzubauen, viele davon auch in Bayern. Den Patienten, die im Schnitt ein halbes Jahr auf einen Behandlungsplatz warten müssen, ist ein derartiges Konstrukt nicht zumutbar. Tatsächlich gibt es im Bereich der Psychotherapie eine gravierende Unterversorgung.“

Obwohl die Prognos-Experten bei der Erstellung ihres Gutachtens die Schwächen der derzeit gültigen Bedarfsplanungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), die für 14 Facharztgruppen und zehn Regionstypen die „Allgemeinen Verhältniszahlen“ (Einwohner je Psychotherapeut/Arzt) definiert, einräumen, wenden sie dennoch deren Modalitäten zur Ermittlung der Unter- und Überversorgung an. So heißt es in dem Gutachten wörtlich: „Auf der Basis der derzeit gültigen ambulanten Bedarfsplanung lässt sich bislang nur in vereinzelten Regionen eine lokale Unterversorgung attestieren.“ Würde der Maßstab nach der heutigen Bedarfsplanung angelegt, nach dem ein Planungsbereich ab einem Versorgungsgrad von 110 % als überversorgt gilt, könnten – so das Gutachten – nahezu 12.000 Psychotherapeuten/Ärzte aus der vertragsärztlichen Versorgung ausscheiden, ohne dass die Versorgung der Patienten beeinträchtigt wäre.

Aufgeschlüsselt nach Facharztgruppen konstatiert das Gutachten, dass die Zahl der potenziell aufkaufbaren Praxen bei den ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten und den fachärztlich tätigen Internisten am größten sei. Danach könnten mit einer Altersgrenze von 65 Jahren und einem akzeptierten Versorgungsgrad von 130 % bei den Psychotherapeut/inn/en exakt 3.524 Praxen aufgekauft werden. Bei den Psychotherapeut/inn/en träfen zwei Phänomene aufeinander: Zum einen sei der Anteil älterer Psychotherapeut/inn/en vergleichsweise hoch. Zum anderen liege der Versorgungsgrad in vielen Regionen weit über 130 %. Der Aufkauf psychotherapeutischer Praxen durch die KVen biete daher die Chance, die regionale Ungleichverteilung zu reduzieren und neue Niederlassungen in den weniger gut versorgten Regionen zu fördern.

Würde das Gutachten Realität – der GKV-Spitzenverband forderte Ende letzter Woche zusätzlich, den Aufkauf von Praxen gesetzlich zu verankern – so hätte das in Bayern vor allem in den Kernstädten und den normalverdichteten Kreisen verheerende Auswirkungen. Der Mittelwert aller Planungsbereiche in Bayern liegt derzeit bei 190,54%. Nur die Planungsbereiche Fürth Stadt, Ingolstadt Stadt, Kulmbach und Miltenberg haben einen Versorgungsgrad von unter 110 %, gelten also nach der derzeitigen Betrachtungsweise als „nicht überversorgt“. Der Aufkauf von Praxen soll nach dem Modell des Gutachtens dabei nur in überversorgten Planungsbereichen erfolgen. 

„Fakt ist, dass es in Bayern deutlich zu wenige psychotherapeutische Behandlungsplätze gibt. Das müssten die Kassen doch wissen, da sie täglich von ihren Versicherten danach gefragt werden“, wundert sich Melcop. „Die Verschlechterung der Versorgung psychisch kranker Menschen kann nur verhindert werden, wenn der allgemeine bedarfsgerechte Versorgungsgrad für die Psychotherapeut/inn/en zum Stand 31.12.2011 neu ermittelt wird“, fordert der Kammerpräsident. „Die Umsetzung des Prognos-Gutachtens der Kassen würde zu einer abermaligen deutlichen Verschlechterung der psychotherapeutischen Versorgung führen, in Bayern wie in ganz Deutschland. Die Patienten müssten noch länger auf ihre Behandlung warten, was zur Chronifizierung ihrer Erkrankungen führt. Die Folgekosten müssten wir alle tragen, was die Volkswirtschaft stärker belastet als die möglichst zügige Aufnahme einer psychotherapeutischen Behandlung.“

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