Psychotherapeutenkammer Bayern

Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention – Präventionsgesetz

31. März 2005 - Stellungnahme der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention – Präventionsgesetz BT-Drs: 15/4833

Die Bayerische Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PtK Bayern) unterstützt das Anliegen der Bundesregierung, Prävention und Gesundheitsförderung zu stärken. Darüber hinaus teilt die PtK Bayern die Überzeugung, dass begrenzte Ressourcen es notwendig machen, sich auf prioritäre Ziele und vor allem qualitätsgesicherte Maßnahmen zu kon-zentrieren. Um diese Ziele zu erreichen, sollte der vorliegende Gesetzesentwurf überarbeitet werden. Die wichtigsten Punkte aus Sicht der PtK Bayern sind:

Bundesweite Zielvorgaben überprüfen

Etwa 20 % der Kinder leiden unter klinisch bedeutsamen Verhaltensauffälligkeiten (Steinhausen et al., 1998). Unter rund 10 000 Münchener Schulanfängern des Jahres 1997 waren mit über 17 % die häufigsten Befunde intellektuelle Beeinträchtigun-gen und Verhaltensauffälligkeiten. In Jena, Heidelberg und Köln wurden bei der Schuleingangsuntersuchung für das Schuljahr 1997/98 13 % der Kinder als psy-chisch auffällig (aggressives Verhalten, Aufmerksamkeitsprobleme etc.) eingestuft. Die WHO empfiehlt für die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen psychische Gesundheit zu einem vorrangigen Gesundheitsziel zu machen (WHO, 2005). Bei einer näheren psychologischen Betrachtung erweisen sich auch ungesunde Ernährung und unzureichende Bewegung als Indikator einer gestörten Mensch-Umwelt-Beziehung und nicht als deren Ursache.

Im Präventionsgesetz wird für die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen auf die von gesundheitsziele.de formulierten Ziele: Bewegung, Ernährung und Stress verwiesen. Diese Ziele sollen gelten, bis die Bundesstiftung neue vorgibt. Gerade für die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen sollten die Vorgaben von gesundheitsziele.de korrigiert werden. Der Gesetzgeber sollte die Bundesstiftung auffordern, umgehend bis zum 01.01.2006 anhand der vom Gesetzgeber vorgegebenen Zielkriterien neue Präventionsziele für Kinder und Jugendliche zu formulieren. Dies entspräche auch der Erklärung der Europäischen Ministeriellen WHO-Konferenz Psychische Gesundheit vom Januar 2005. Darin wurde die Förderung der psychischen Gesundheit und die Prävention psychischer Gesundheitsprobleme von den versammelten Gesundheitsministern als vorrangiges Anliegen für die WHO, die EU und den Europarat dargestellt (WHO, 2005).

Prävention weiterhin auch über Steuern finanzieren

Die Finanzierungsverantwortung für Prävention wird häufig auf der Grundlage einer Unterscheidung zwischen gesundheitlicher und sozialer Prävention getroffen. Diese Trennung in gesundheitliche und soziale Prävention ist bei Maßnahmen für Kinder und Jugendliche kaum vorzunehmen. Eine Folge des Gesetzes wird daher sein, dass Träger von Lebenswelten wie Kindergärten oder Schulen, ihre Anträge nicht mehr bei den Jugendämtern für Maßnahmen der Jugendhilfe stellen, sondern bei den neuen Gremien auf Landesebene, die die Beitragsgelder der sozialen Präventionsträger verteilen. Prävention als originär gesamtgesellschaftliche Aufgabe wird künftig kaum noch über Steuermittel, sondern über Beitragsmittel der Sozialversicherungen finanziert werden. Vor allem bei der Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen kommt es aller Voraussicht nach nur zu einer Umfinanzierung, nicht zu den erforderlichen zusätzlichen finanziellen Impulsen. Das Gesetz wird ohne definierten, finanziellen Beitrag von Bund, Ländern und Kommunen sein Ziel, Prävention und Gesundheitsförderung zu stärken, verfehlen.

Ressourcen auf qualitätsgesicherte Programme konzentrieren

Es gibt eine große Zahl von primärpräventiven Programmen zur Vermeidung von Adipositas und Übergewicht im Kindesalter. Die meisten setzen auf Wissensvermittlung und Aufklärung, obwohl mehr Wissen über Ernährung kaum Einfluss auf das Ernährungsverhalten hat. Die Gesundheitskampagnen des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) oder der Bundeszentrale für Gesundheit (BzgA) sind insofern dringend evaluationsbedürftig und bestenfalls ein Baustein eines komplexeren Präventionsprogramms, das neben Wissensvermittlung auch auf Verhaltensänderung zielt.

Der mit dem Präventionsgesetz künftig geforderte Wirksamkeitsnachweis für präven-tive Maßnahmen ist daher zu begrüßen. Der Gesetzgeber lässt allerdings offen, wie die Mittel für Evaluation aufzubringen sind. Angesichts des Stellenwertes eines Wirksamkeitsnachweises für einen effizienten Mitteleinsatz ist zu fordern, dass für eine wissenschaftliche Begleitforschung explizit Mittel zur Verfügung gestellt werden. Dies sollte geschehen, indem der Stiftung Bundesmittel für die Evaluation von Präventi-onsprogrammen zur Verfügung gestellt werden. Eine Evaluation darf sich dabei nicht auf die Untersuchung von Reichweite, Akzeptanz und Kosten eines Präventionsprogramms beschränken. Verbreitung und Beliebtheit sagen nichts über die Effektivität eines Programms im Sinne der angestrebten Verhaltensänderungen aus.

Auf psychologisch-psychotherapeutischen Sachverstand nicht verzichten

Die europäischen Gesundheitsminister haben in der Europäischen Erklärung zur psychischen Gesundheit proklamiert, dass es keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit gibt (WHO, 2005). Der vorliegende Gesetzentwurf dagegen bezieht gesundheitliche Prävention einseitig auf die physische Gesundheit und vernachlässigt die wechselseitigen Beziehungen zwischen psychischer und physischer Gesundheit. Psychische und soziale Faktoren wie Stress oder Vereinsamung konnten in zahlreichen wissenschaftlichen Studien als Auslöser bzw. Risikofaktor für Krankheit identifiziert werden. Physische Erkrankungen (Krebs, Adipositas etc.) bewirken psychische Folgeerscheinungen oder werden durch psychische Faktoren aufrechterhalten.

Empirisch ist vielfach belegt, dass Wissensvermittlung über medizinische Risikofak-toren oder gesundheitsförderliches Verhalten in der Regel nicht ausreicht, um nachhaltige Verhaltensänderungen zu erzielen. Die Medizinlastigkeit des Gesetzentwurfes sollte korrigiert werden. In den unterschiedlichen Entscheidungsgremien ist auch psychologisch-psychotherapeutischer Sachverstand einzubeziehen. Dies gilt insbesondere für das Kuratorium der Bundesstiftung aber auch für die auf Landesebene zu bildenden Gremien.
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