Psychotherapeutenkammer Bayern

Stellungnahme zu Entwürfen zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe und zur Entlastung der Kommunen im Sozialen Bereich

31. März 2005 - Stellungnahme zum Entwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe BT-DRS 15/3676
Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im Sozialen Bereich (KEG) BT-DRS 15/4532

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich (KEG) sind Leistungseinschränkungen insbesondere für Kinder und Jugendliche mit psychosozialen Problemen geplant. Vor dem Hintergrund einer wachsenden Anzahl von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen oder Verhaltensauffällig-keiten ist dies auch bei finanziellen Engpässen nicht gerechtfertigt. Die Bayerische Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PtK Bayern) lehnt daher das von der Mehrheit der Bundesländer eingebrachte KEG ab.

Der Entwurf zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe beabsichtigt, die Nachhaltigkeit der Kinder- und Jugendhilfe durch eine rechtzeitige und sachgerechte Hilfegewährung sowie das Angebot einer adäquaten Infrastruktur auch künftig zu sichern. Die PtK Bayern begrüßt den Gesetzentwurf der Bundesregierung.

Keine Eintrittsgebühr für Erziehungsberatung

Ein wesentlicher Risikofaktor für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist die mangelnde Erziehungskompetenz ihrer Eltern. Erziehungsberatung ohne Kostenbeteiligung und ohne Offenlegung der Einkommensverhältnisse soll möglichst früh Hilfe und Unterstützung in psychosozial schwierigen Situationen anbieten. Erziehungsberatung ist Hilfe zur Selbsthilfe, die zugleich auch Prävention mit Blick auf die psychische Gesundheit der Kinder ist. Eine Gebühr für Beratungsleistungen, wie sie das KEG plant, wird Eltern von der Inanspruchnahme der Erziehungsberatung abhalten, weil sie die Zuzahlungen nicht tragen oder ihre Einkommensverhältnisse nicht aufdecken wollen. Bei einem präventiv ausgerichteten Angebot, dessen Ziel auch und gerade die Erhaltung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist, sind Barrieren für eine Inan-spruchnahme ein widersinniger Steuerungsansatz mit problematischen Folgen auch auf die Akzeptanz der weiteren Hilfsangebote der Erziehungsberatung, wie Diagnostik und Therapie in der Einzelfallhilfe. Die mit einer Gebühr einhergehenden zusätzlichen Einnahmen werden wahrscheinlich den für die Erhebung notwendigen bürokratischen Aufwand nur knapp kompensieren. Dennoch wird die Regelung durch die Senkung der Nachfrage Kosten sparen zu Lasten von Familien mit psychosozialen Problemen.

Problemorientierte Lösungen für behinderte Kinder und Jugendliche

Mit dem KEG soll die Zuständigkeit für seelisch behinderte oder von seelischer Be-hinderung bedrohte Kinder und Jugendliche von der Jugendhilfe auf die Sozialhilfe übertragen werden. Ziel ist es, die Zuständigkeiten zwischen Jugend- und Sozialhilfe eindeutig zu klären. Mit einer Verlagerung der Leistungen für Kinder in das SGB XII ist dies aber nicht zu erreichen. Die Sozialämter können auch künftig argumentieren, dass der Hilfebedarf nicht in erster Linie aus der seelischen Behinderung des Kindes, sondern aus der mangelnden Erziehungskompetenz der Eltern resultiert. Aus psychologisch-psychotherapeutischer Sicht lässt sich nicht mit hinreichender Objektivität abgrenzen, ob die Ursache einer psychischen Störung primär bei einem Kind oder im Erziehungsverhalten der Eltern zu suchen ist. Für die Entscheidung, welche Hilfen den betroffenen Menschen gewährt werden sollen, sind zudem weniger die Ursa-chen der jeweiligen Probleme als vielmehr die Frage nach den wirksamen Maßnahmen und Hilfen ausschlaggebend. Die klaren Grenzen, die sich Kostenträger wünschen, lassen sich auf Grund der komplexen Wirklichkeiten seelischer und sozialer Belastungen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien nicht treffen. Überflüssiger bürokratischer Aufwand lässt sich vermeiden, wenn die Jugendhilfe für alle behinderten Kinder und Jugendlichen (seelisch, geistig und körperlich) zuständig wird.

Qualitätssicherung für medizinische und sozialpädagogische Prüfverfahren

Die Initiatoren des Kommunalen Entlastungsgesetzes problematisieren, dass bei Lese- und Rechtschreibschwäche Leistungen der Jugendhilfe gewährt werden. Sie vermuten, dass sich insbesondere Angehörige der Mittelschicht die Lösung der Schulprobleme ihrer Kinder über die Jugendhilfe finanzieren lassen.

Die zentrale Ursache für eine missbräuchliche Leistungsgewährung liegt in fehlenden Qualitätskriterien für medizinische und sozialpädagogische Prüfverfahren. Die Lösung dieser Probleme fällt in die Zuständigkeit der Länder und Kommunen, die diese Aufgabe bisher nicht adäquat aufgegriffen haben. Eine gesetzliche Änderung, die die Qualifikationsvoraussetzungen für die Erstellung der medizinischen Gutachten präzisiert, ist auf Bundesebene notwendig. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung schafft hier mit den beabsichtigten Regelungen im § 35a Abs. 1 SGB VIII und im § 36 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII Abhilfe.

Defizite der Schulpolitik nicht der Jugendhilfe anlasten

Die Zunahme von Anträgen für Leistungen nach § 35a SGB VIII bei Teilleistungsstörungen der Kinder sind ein Indiz für die Versäumnisse der Schulpolitik vieler Bundes-länder. Kinder und Jugendliche, die mit dem regulären Unterricht das Schulziel nicht erreichen können, brauchen adäquate Unterstützung in ihren Schulen – so wie es die Schulgesetze der Länder vorsehen. Dies ist auch eine Lehre, die aus den PISA-Studien zu ziehen ist. Die Länder und ihre Schulpolitik sind gefordert, nicht der Bundesgesetzgeber.

Hilfe für junge Erwachsene nicht streichen

Jugendliche zwischen 18 und 20 Jahren können noch Leistungen der Jugendhilfe in Anspruch nehmen. Damit ist gesichert, dass „jungen Volljährigen“ Hilfen gewährt werden, wenn dies ihrer schulischen und beruflichen Bildung dient. Im KEG wird vorgebracht, dass dieser Ausnahmefall sich in der Praxis zum Regelfall umgekehrt habe. Die Zahlen der amtlichen Statistik widerlegen diese Behauptung eindeutig. Ins-gesamt bewilligten alle deutschen Jugendämter im Jahr 2002 nur in 2.784 Fällen Hilfen zur Erziehung nach §§ 29, 30, 33 – 35 bei jungen Volljährigen. Im Jahr 1995 lag diese Zahl noch mit 4.923 Fällen doppelt so hoch. Die derzeitigen Regelungen des SGB VIII sind angemessen. Wahrscheinlich geht es den Initiatoren des KEG in erster Linie um die Herabstufung der Hilfeleistung von einer Soll- zu einer Kann-Norm. Auch hier geht es also um Einsparungen zu Lasten von Jugendlichen, die für ihre soziale und berufliche Integration dringend Hilfe benötigen.
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