Psychotherapeutenkammer Bayern

14. Suchtforum in Bayern: Zwischen Genuss, Frust und Kontrollverlust – Essstörungen als „gewichtige“ Herausforderung einer Konsumgesellschaft?!

Pressemitteilung
22. April 2015 - Essstörungen sind in unserer Gesellschaft ein verbreitetes Gesundheitsproblem. Medien berichten immer öfter über Magersucht, Ess-Brechsucht, Essattacken und Folgeerscheinungen wie Fettleibigkeit. Am 22. April 2015 veranstalten die Kooperationspartner Bayerische Landesärztekammer (BLÄK), Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS), Bayerische Landesapothekerkammer (BLAK) und die Bayerische Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PTK Bayern) im Amerikahaus in München das 14. Suchtforum mit dem Titel „Zwischen Genuss, Frust und Kontrollverlust – Essstörungen als ‚gewichtige‘ Herausforderung einer Konsumgesellschaft?!“ Rund 350 Besucherinnen und Besucher werden erwartet. Diskutiert werden Fragen wie: Was sind die Ursachen von Essstörungen? Welchen Einfluss haben genetische und soziale Faktoren? Sind Essstörungen überhaupt Suchtkrankheiten? Welche Wirkung haben Schlankheitspillen? Welchen Einfluss hat der Lebensstil auf Essstörungen? Welche psychotherapeutischen Ansätze gibt es bei Essstörungen?

Die Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege, Melanie Huml, betonte: „Schätzungen zufolge leiden zwischen 5 und 10 Prozent der Bevölkerung an Essstörungen – Tendenz steigend. Diese Zahlen sind alarmierend. Eine krankhafte Störung des Essverhaltens kann schlimme Folgen haben. So kann exzessives Hungern beispielsweise Kreislaufstörungen bis hin zu Nierenversagen und Herzstillstand auslösen. Auch Übergewicht kann die Gesundheit stark beeinträchtigen. Betroffene leiden häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes Typ 2. Damit es gar nicht so weit kommt, setzt Bayern auf bewährte Angebote zur Information und zur zielgruppengerechten Prävention. Daneben stehen Betroffenen und ihren Angehörigen 180 psychosoziale Suchtberatungsstellen in Bayern mit Rat und Unterstützung zur Seite. Auch die bayerischen Jugendämter und Erziehungsberatungsstellen bieten Hilfestellungen an. Ärztliche und therapeutische Hilfe können Betroffene bei entsprechenden Fachärztinnen und Fachärzten, Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erhalten. Darüber hinaus stehen ihnen spezialisierte stationäre Behandlungseinrichtungen zur Verfügung.“

„Essstörungen sind seelische Krankheiten, die zu gefährlichen sekundären Schäden führen können“, erklärte Dr. Heidemarie Lux, Vizepräsidentin der BLÄK und Suchtbeauftragte des Vorstandes. Gerade diese körperlichen Folgeschäden seien teilweise irreversibel und deshalb müssten Essstörungen sehr ernst genommen werden. Die Betroffenen brauchen professionelle Hilfe. Wichtig sei eine frühzeitige ärztliche und therapeutische Behandlung. Und hier sei vor allem das nahe Umfeld der Betroffenen, Eltern, Partner, Freunde und Lehrer, gefragt. Jede Ärztin und jeder Arzt könne bei Essstörungen wegen weiterer Hilfe kontaktiert werden.

„Psychologischer Hintergrund des verhaltensbedingten Übergewichts ist vor allem ein labiles Selbstwertgefühl mit einer gestörten Balance zwischen Selbst und Umwelt“, erläuterte Prof. Dr. Dr. Dr. Felix Tretter, 2. Vorsitzender der BAS. Exzessives Essen, noch dazu von kalorienreicher Nahrung, habe eine zentrale und kompensatorische Belohnungsfunktion. Bei betroffenen Menschen konnte festgestellt werden, dass sich die Gehirnstrukturen ähnlich verändert haben wie bei Alkoholabhängigen. Vor allem scheine ein Mangel an Dopamin-Rezeptoren vorzuliegen, wie er bei Personen mit einer Stoffabhängigkeit (Alkohol, Heroin oder Kokain etc.) gefunden worden sei. Das weise darauf hin, dass es ein Belohnungsdefizit gebe, das – insbesondere in stressreichen Lebenssituationen – durch ein ‚Mehr‘ an Essen unbewusst kompensiert werde.

Ulrich Koczian, Vizepräsident der BLAK, warnte vor Abnehm-Präparaten aus dem Internet oder anderen dubiosen Quellen: „Die Dunkelziffer gefälschter, mit verschreibungspflichtigen und damit hochrisikobehafteten Stoffen versetzter Nahrungsergänzungsmittel ist riesig.“ Noch immer werde der nicht deklarierte Wirkstoff „Sibutramin“ in solchen Fälschungen gefunden, der bei uns schon lange wegen unvertretbarer Risiken aus dem Verkehr gezogen wurde. Hier sei besonders der Apotheker vor Ort als Berater in Sachen Arzneimitteltherapiesicherheit gefragt.

Priv.-Doz. Dr. Heiner Vogel, Vorstandsmitglied der PTK Bayern, wies darauf hin, dass mit dem Essen bestimmte psychische Zustände und Emotionen verknüpft seien, die sich je nach biografischer Entwicklungsgeschichte und sozialen Erfahrungen unterscheiden und zur Entstehung einer Essstörung beitragen könnten. Essen könne beispielsweise mit Versorgung, Zuwendung und Geborgenheit assoziiert werden, als Ersatzbefriedigung bei Frustration oder Langeweile dienen oder zur Belohnung und Bestrafung eingesetzt werden. „In der Behandlung von Essstörungen ist ein möglichst umfassender therapeutischer Ansatz ausschlaggebend, da zahlreiche verschiedene psychosoziale und individuelle Faktoren berücksichtigt werden müssen“, erklärte Vogel.

Betroffene können sich in allen Fragen der Prävention von Suchterkrankungen und deren Behandlung als erste Anlaufstelle und Vermittler direkt an die vier Kooperationspartner des 14. Suchtforums wenden.

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