Psychotherapeutenkammer Bayern

Leistungsdruck, Stress und Überforderung machen immer mehr Menschen psychisch krank

26. März 2010 - 'Verstärkte Anstrengungen zur Prävention psychischer Störungen sind dringend notwendig', betont Kammerpräsident Dr. Nikolaus Melcop. „Es gibt hierzu sehr gute Ansätze, aber zu wenige werden in der Praxis umgesetzt.“ Psychische Erkrankungen seien immer häufiger der Grund für eine Arbeitsunfähigkeit, bereits elf Prozent aller Fehltage gingen auf das Konto psychischer Erkrankungen zurück. Seit 1990 habe sich die Zahl der Krankschreibungen mit dieser Diagnose nahezu verdoppelt. Das hat eine Übersichtsstudie der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ergeben, die die Gesundheitsreporte mehrerer gesetzlicher Krankenkassen miteinander verglichen und ausgewertet hat.

Nach den Reporten der Krankenkassen seien besonders häufig Mitarbeiter in der Telekommunikation, im Sozial- und Gesundheitswesen, in öffentlichen Verwaltungen sowie Zeitarbeiter betroffen. Metaanalysen und Studien zeigten, dass die Kombination aus hohen Anforderungen wie Zeitdruck, komplexen Aufgaben oder Verantwortung und geringer Einfluss auf den Arbeitsprozess in der Arbeitswelt zu überdurchschnittlich häufigen psychischen Erkrankungen führe. Schlechte Bezahlung, geringe Anerkennung, mangelnde persönliche Wertschätzung und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes seien weitere Risikofaktoren, an einer Depression zu erkranken.
Aus den Berichten der Krankenkassen lässt sich schließen, dass vor allem der Verlust des Arbeitsplatzes – noch stärker als berufliche Überlastung – zu psychischen Erkrankungen führe. Arbeitslose werden drei- bis viermal so häufig psychisch krank wie Erwerbstätige. Besonders häufig seien Arbeitslose von Alkoholabhängigkeit und Depressionen betroffen.
Der Vergleich der Krankenkassen-Gesundheitsreporte ergab darüber hinaus, dass deutsche Arbeitnehmer am häufigsten an Depressionen erkranken, die deutlich längere Krankschreibungen nach sich ziehen wie z. B. Belastungsreaktionen oder Anpassungsstörungen. Ein depressiv Erkrankter falle im Durchschnitt pro Jahr 35 bis 50 Tage aus. Nach Angaben der Barmer fallen manche Depressive sogar 13 Wochen aus. Die Kosten der Behandlung haben im Jahr 2004 bundesweit rund 4,3 Milliarden Euro betragen. Demgegenüber stellt die PTK Bayern fest, dass Psychotherapie zu Kosteneinsparungen bei medizinischen Maßnahmen führt. So hat eine Metaanalyse internationaler Studien (Jürgen Markgraf, 2009) gezeigt, dass sich die Therapiekosten in der Regel bereits in den ersten zwei Jahren nach Therapieende wieder ausgleichen. Statt früh, ambulant und kostengünstig werden Markgraf zufolge psychische Störungen spät, stationär und teuer behandelt.
Wie die Übersichtsstudie der BPtK weiter ergibt, seien die Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen in Berlin, Hamburg und im Saarland im Vergleich zum Bundesdurchschnitt bei allen Krankenkassen um mindestens 20 Prozent erhöht. Auch in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen liegen die Zahlen über dem Durchschnitt. In Ostdeutschland werden insgesamt indes weniger psychische Erkrankungen diagnostiziert, die zu einer Arbeitsunfähigkeit führen, als im Westen. Man müsse, so betont die Studie, diese regionalen Unterschiede jedoch differenziert betrachten: In Stadtstaaten bestehe im Vergleich zu Flächenstaaten ein höherer Anteil an Dienstleistern, deren Arbeitsbedingungen für zahlenmäßig höhere Krankschreibungen ursächlich sein könnten. Darüber hinaus spielen unterschiedliche Arbeitslosigkeitsanteile eine Rolle, wie sie sich im relativ geringen Krankenstand z. B. in Baden-Württemberg oder in Bayern widerspiegeln. Dass in Ostdeutschland psychische Erkrankungen seltener auftreten als in Westdeutschland, liege an unterschiedlichen Traditionen und Kenntnissen in der Diagnostik der Erkrankungen, erklärt die Studie. Es könne auch sein, dass psychische Erkrankungen in städtischen Regionen weniger tabuisiert seien als in ländlichen Gegenden. Des Weiteren korreliere eine hohe Versorgungsdichte mit überdurchschnittlich hohen Arbeitsunfähigkeitszeiten. Letztlich sei die deutliche Zunahme psychischer Erkrankungen auch auf die verbesserte Diagnose zurückzuführen. Die Ursache von Magen- oder Rückenschmerzen werde zunehmend auch von Ärzten psychischen Problemen zuerkannt.
Eine humanere Arbeitsgestaltung auch im Dienstleistungssektor, eine stärkere betriebliche Gesundheitsförderung, welche die psychische Widerstandskraft stärke sowie vermehrte Präventionsangebote für die Mitarbeiter/innen seien wesentliche Schritte, um die psychischen Belastungen in der modernen Arbeitswelt zu minimieren, so die gemeinsame Forderung von BPtK und PTK Bayern. Notwendig sei auch, die Kooperation zwischen Krankenkassen und der Agentur für Arbeit auszubauen, um Beziehern von Arbeitslosengeld mehr Optionen zu bieten, ihre psychische Gesundheit zu erhalten. Wichtig sei auch, im Falle einer psychischen Erkrankung primär auf psychotherapeutische und nicht auf medikamentöse Maßnahmen zurückzugreifen.
 
Weitere Informationen zur Studie der Bundespsychotherapeutenkammer finden Sie hier.
 
 
PTK Bayern
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