Psychotherapeutenkammer Bayern

Bericht vom 2. Bayerischen Landespsychotherapeutentag: „Prävention psychischer Störungen“

12. Oktober 2006 - Der diesjährige bayerische Landespsychotherapeutentag (LPT) wurde als Chance genutzt, mitten in den Diskussionen um die geplante Gesundheitsreform die Forderungen der Psychotherapeuten zur Prävention psychischer Störungen und zur psychotherapeutischen Versorgung zu platzieren.

Vor rund 550 Teilnehmern eröffnete Dr. Nikolaus Melcop, Präsident der PTK Bayern die Tagung:  zur Seite „Eröffnung“. (Foto: Marc Sigrist)


Er wies darauf hin, dass das Thema „Prävention psychischer Störungen“ eines der wichtigsten Themen der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussionen sei. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten seien besonders in der Verantwortung, psychologisch-psychotherapeutisches Fachwissen zur Verhinderung psychischer Störungen mit einzubringen, auch angesichts der enormen Zuwachsraten an psychischen Störungen.

Die geplante Gesundheitsreform dürfe sich nicht darauf beschränken, aktuelle Finanzierungsprobleme vordergründig durch Umschichtung von Einnahmen und Ausgaben anzugehen. „Langfristige präventive Maßnahmen, die die Menschen dort motivieren, wo sie leben und arbeiten, sparen nicht nur viel Geld, sie verhindern individuelles Leid und erhöhen die Lebensqualität und die Leistungsfähigkeit.“ Auch die Psychotherapie selbst sei ein Typ von Prävention, da sie Chronifizierungen und lange Krankheitsverläufe verhindern helfe. Er warnte, dass die mit der Gesundheitsreform geplante Zentralisierung eine Gefahr für die psychotherapeutische Versorgung in Bayern und Deutschland darstelle: „Regionale Strukturen dürfen in der Gesundheitsreform nicht zugunsten zentraler Defizitsteuerung wegrationalisiert werden. ... Die Politik muss sich die Mühe machen, sich nicht nur für die Organmedizin Strukturvorgaben und innovative Elemente zu überlegen, sondern den Bereich der psychotherapeutischen Behandlung psychischer Störungen gezielt zu schützen und zu fördern.“

Pressemitteilung
Er forderte für die Prävention psychischer Störungen spezifische Maßnahmen für Kinder und Jugendliche, insbesondere die Förderung der Erziehungskompetenz der Eltern, Vorsorgeuntersuchungen auch für psychische und psychosoziale Auffälligkeiten, Maßnahmen für Problemgruppen und die Förderung von Psychotherapie zur Verhinderung von Chronifizierungen. Weiter hob er aus dem Thesenpapier der PTK Bayern hervor: „Private Krankenkassen dürfen Patienten mit psychischen Störungen und die Behandlung durch Psychotherapeuten nicht ausschließen. Präventionsprogramme für psychische Störungen müssten flächendeckend für alle Lebensbereiche und Lebensalter umgesetzt werden. Und die Vielzahl von existierenden Projekten müsste besser vernetzt und auch evaluiert werden.“

Der Eingang der LMU München: Tagungsort des Psychotherapeutentages Der Eingang der LMU München: Tagungsort des Psychotherapeutentages

Ludwig-Maximilians-Universität München begrüßte die Anwesenden als Hausherr zur Seite 'Grußworte Dr. Schubö'.

Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz. zur Seite 'Grußworte Dr. Werner Schnappaufs als Schirmherr'.

Im Leitvortrag führte Prof. Dr. Dieter Kleiber (FU Berlin; Foto: Marc Sigrist) die zunehmende Bedeutung und Wichtigkeit der Prävention gerade im Bereich der psychischen Störungen aus. Staatlich geförderte oder initiierte Projekte fokussieren bislang eher auf Prävention im somatischen Bereich (z.B. Herz- Kreislauferkrankungen, Altersdiabetes). Nach Daten des Bundesgesundheitssurveys sei davon auszugehen, dass fast jeder zweite Bundesbürger im Verlauf seines Lebens zumindest einmal an einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung erkranken werde. Darunter würden stressinduzierte Probleme, die sich beispielsweise als depressive Probleme, Angsterkrankungen, somatoforme Störungen, aber auch Suchterkrankungen manifestieren könnten, zu den zentralen Herausforderungen für alle Akteure im Gesundheits- und Sozialbereich führen. Die Burden of Disease-Study der WHO und der Weltbank prognostiziere, dass Depressionen in gut 10 Jahren den zweiten Rang unter den Behinderung verursachenden Erkrankungen einnähmen. Er beklagte den zu geringen Einsatz von Präventionsprojekten für psychische Störungen.
Ministerialdirektorin Karin Knufmann-Happe (Bundesministerium für Gesundheit, Berlin; Foto: Karin Welsch) gab einen Überblick über Maßnahmen der Bundesregierung zur Stärkung der Prävention im Allgemeinen sowie spezifische, auf die Förderung psychischer Gesundheit ausgerichtete, Initiativen in den verschiedenen Politikbereichen. Prävention und Gesundheitsförderung orientierten sich an den Lebenswelten der Menschen. Um hier wirksame Präventionsprogramme zu etablieren bedürfe es – gerade in dem pluralistischen und förderal gegliederten deutschen Gesundheitssystem – der politikbereichsübergreifenden Netzwerkbildung.
 

Anti-Stigma-Kampagnen

Verbesserungsbedarf gebe es unter anderem bei der Aufklärung und Information der Bevölkerung über das Wesen und die Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen. Die noch immer weit verbreitete Stigmatisierung und Mystifizierung dieser Erkrankungen soll mit geeigneten Aktionen abgebaut werden.
Knufmann-Happe diskutierte die Bedeutung der Psychotherapie für die Prävention und Förderung psychischer Gesundheit mit Blick auf die sozialrechtlich geregelte Begrenzung der Richtlinien-Psychotherapie, aber auch auf die Möglichkeiten eines auf der Grundlage eines zukünftigen Präventionsgesetzes gestärkten Präventionsbereichs.

Aufgabenteilung

Prof. Dr. Johannes Gostomzyk (Landeszentrale für Gesundheit in Bayern, München; Foto: Karin Welsch) wies in seinem Vortrag auf die Bedeutung von gesundheitsbezogener Prävention als individuelle und gesamtgesellschaftliche Aufgabe hin. Die im Grundgesetz verankerten Sozialprinzipien Individualität (Eigenverantwortung), Solidarität und Subsidarität gäben Hinweise für eine Aufgabenverteilung. Gesundheit und ihre Bedingungen seien in der Gesellschaft ungleich verteilt. Soziale Gerechtigkeit in der Prävention bedeute damit Chancengerechtigkeit bei ungleicher Ausgangssituation für den Einzelnen. Im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Möglichkeiten solle jeder die Startchancen (Bedingungen) zur Verwirklichung der ihm möglichen Gesundheit in Eigenverantwortung erhalten.
Unsere Gesellschaft, organisiert als sozialer Rechtsstaat, habe dabei die Aufgabe der Verhältnisprävention, d.h. Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung durch soziale Sicherung, Verbraucherschutz, Arbeitsschutz, Bildung usw.. Politische Handlungsebenen seien dabei sowohl die EU sowie die Bundes-, Länder- und kommunale Ebene. Besondere Bedeutung komme der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V, § 20) zu.

Dezentralität

Mit dem 2005 im Bundesrat gescheiterten Präventionsgesetz, sei ein Strukturgesetz entworfen worden, das die zentrale Festlegung nationaler Präventionsziele ermöglichen sollte, allerdings mit einseitiger Finanzierung eines Fonds aus Mitgliedsbeiträgen der Sozialkassen ohne Beteiligung des Bundes oder der Länder aus Steuermitteln. Der Entwurf sei in der Komplexitätsfalle geendet, weil er weder dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz zwischen Bund, Ländern, Kommunen, Sozialverbänden (GKV, GRV, GUV) noch den Ansprüchen zivilgesellschaftlicher Bereiche mit eigenständigen Akteuren in der Prävention (Familie, Selbsthilfe, Wohlfahrtspflege, Sportvereine, betriebliche Gesundheitsförderung u.a.) gerecht werden konnte. Einer Komplexitätsfalle entgehe man durch dezentrale Organisation, dafür gebe es genug Beispiele in der Praxis (Good Practice-Projekte), auch in der Prävention.

Rolle der PP und KJP

Prof. Dr. Bernd Röhrle (Universität Marburg; Foto: Karin Welsch) wies darauf hin, dass die Prävention psychischer Störungen und die Förderung psychischer Gesundheit zwar nicht ausnahmslos, aber doch auch zum Tätigkeitsfeld von Psychotherapeuten gehöre, es auch schon traditionell so gewesen sei und diese sich auch in Zukunft verstärkt hier einbringen müssten. Einflüsse aus der Geschichte der Psychotherapie belegten dies. Insbesondere im Bereich der sekundären Prävention seien Psychotherapeuten schon lange tätig. Die große Zahl gut evaluierter und effizienter präventiver Interventionen basiere auf klinisch-psychologischem Wissen, das vor allem auch Psychotherapeuten zu eigen sei.

Aufgabe der Politik: Kapazitäten und Voraussetzungen schaffen

Epidemiologische Daten, aber auch die derzeitige Versorgungslage machten deutlich, dass psychotherapeutische Hilfen allein nicht ausreichend seien, um auch im ethischen Sinne der großen Zahl psychischer Störungen und den damit verbundenen sozialen und ökonomischen Belastungen gerecht werden zu können. Die Vielzahl der Möglichkeiten präventiver Hilfen werde aber erst greifen können, wenn Kapazität bildende Maßnahmen in Ausbildung und Versorgung zum Tragen kämen. Röhrle forderte, das Präventionsgesetz entsprechend auszugestalten.
TypDokument/DateinameDateigröße
Prof. Dr. B. Röhrle
Prävention - ein Arbeitsfeld für Psychotherapeut/inn/en
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Dr. Anneke Bühler
Suchtprävention
93.6 KB
Prof. Dr. Manfred Döpfner
Kindes-und Jugendalter
1.1 MB
Prof. Dr. Thomas Giernalczyk
Suizidprävention
90.7 KB
Prof. Dr. Heiner Keupp
Möglichkeiten der Prävention
143 KB
Prof. Dr. Johannes Gostomzyk
Vortrag - Prävention psychischer Störungen
54.6 KB
Prof. Dr. Johannes Gostomzyk
Folien - Prävention psychischer Störungen
1.3 MB
Ludwig Gunkel
Betriebliche Prävention
564.5 KB
Programm zum 2. LPT 34.6 KB
Abstractband 126.5 KB
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